Heinrich Spoerl
der unabhängig ist, vielleicht ein Junggeselle – wie Sie zum Beispiel –, der nach nichts zu fragen hat, und der mir andererseits auch freundschaftlich nahesteht – wie Sie zum Beispiel, mein lieber Faletti –« – »Meinen Sie etwa –«
»Das ist lieb von Ihnen! Ich habe es ja gewußt«, ruft Kempenich und drückt ihm warm beide Hände.
Faletti wehrt sich mit Herz und Hand. Gerade er sei für dieses Ehrenamt besonders schlecht geeignet, ihm liege das nicht, er sei darin zu ungeschickt, und speziell im Lügen habe er gar keine Übung, und bei Frauen schon gar nicht, er habe noch nie gelogen und sei auch jedesmal rot dabei geworden. Und er wisse im voraus, Frau Hedwig würde es ihm nicht glauben.
Er weiß es wirklich.
Kempenich weiß es nicht. »Ich kenne meine Frau besser. Sie glaubt jedem Menschen. Nur mir nicht. Außerdem trifft es sich gut, daß ich gerade böse mit Ihnen bin; sie wird gar nicht auf den Gedanken kommen, daß Sie für mich einspringen.«
Er redet mit Engelszungen, er läßt die ältesten Weine sprechen, er beschwört das Blaue vom Himmel. Er tut sein äußerstes: »Es wird Ihnen nicht entgangen sein, lieber Meister, daß ich sehr musikalisch bin, besonders für Gesang. Ich wäre nicht abgeneigt, bei Ihnen singen zu lernen. Auf der Schule war ich vom Gesang befreit, aber man ist ja älter geworden. Übrigens zahle ich drei Monate im voraus.«
Und legt neunzig Mark auf den Tisch. Vier schöne braune Zwanzigmarkscheine, und obenauf als Beschwerung zwei dicke silberne Fünfmarkstücke. Ein ansprechendes Stilleben.
Geld ist ein überzeugender Redner. Es tut alle Wunder der Welt. Für neunzig Mark würde Faletti des Teufels Großmutter zum Koloratursopran ausbilden. An Hand von neunzig Mark läßt er sich einreden, daß er Kempenichs Freund ist und ihm helfen muß. Er will es auf sich nehmen. Aber wohlgemerkt: ohne Garantie, daß die gnädige Frau es ihm glaubt.
»Das lassen Sie meine Sorge sein!«
Sie stoßen auf das Komplott an. Kempenich kann kaum schlucken vor lauter Freude, vor Freude über das endliche Ende des Ehekriegs, Freude über die kommenden glücklichen Tage, Freude vor allem aber über sich selbst und seinen Einfall. »Sehen Sie, mein lieber Freund, so muß man den Frauen entgegentreten, mit der Waffe des überlegenen Geistes. Und ein Glück, daß ich mich an Sie gewendet habe.«
Der überlegene Geist wurde ausführlich begossen, das morgige Ereignis im Vorschuß gefeiert. Die Flaschenparade wuchs bedrohlich. Bei der vierten Flasche tranken sie die übliche alkoholische Brüderschaft mit verhakten Armen und schwimmenden Augen. Bei der fünften lagen sie sich rührselig schweigend in den Armen. Und gegen Mitternacht stolperten sie gegeneinander gelehnt durch mondbeschienene Gassen nach Hause.
Nach Hause ist etwas voreilig gesagt. Ein Laternenpfahl wurde Dritter im Bunde, sie blieben daran hängen und kamen nicht mehr von ihm los. Der Maestro benutzte den Aufenthalt, um gleich mit seinen vorausbezahlten Gesangstunden zu beginnen. Er singt vor: do-re-mi-fa-sol, süß und weich wie ein Kater. Und Kempenich grölt wie fünf Flaschen Mosel: o du fröhliche – o du selige –
Dann bringen sie sich gegenseitig nach Hause. Erst der eine den andern, dann der andre wieder den einen, und so fort. Es geht nicht auf: Einer bleibt immer übrig.
***
Frau Hedwig fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Nicht als ob sie auf die Heimkehr ihres Mannes wartete, wie sie das in guten Zeiten tat. Im Gegenteil, sie hatte sich fest vorgenommen, trotzdem einzuschlafen. Und schlief erst recht nicht ein.
In der Bewegungslosigkeit der Bettruhe, in der konzentrierten Stille der Nacht kamen ihr klare kluge Gedanken: Warum hat er die letzte Nacht nicht bei seinen Verwandten geschlafen, vielleicht war etwas vorgefallen, vielleicht hat ihm etwas nicht gepaßt, und er will nicht darüber sprechen, auf seine Verwandten läßt er ja nichts kommen, aber der Eintrag ins Fremdenbuch, man sagt, Papier ist geduldig, wer weiß, was zum Beispiel dieser Mensch da in Koblenz eingeschrieben hat, in welchen Verdacht hätte man kommen können, überhaupt dieser Diebstahl, die beiden in Köln haben die Wäsche mitgenommen, gestohlen, er stiehlt doch nicht, das ist Irrsinn, er stiehlt doch nicht, weder allein noch mit andern, das ist der klarste Beweis, das kann er nicht gewesen sein, das Fremdenbuch ist Quatsch.
Sie richtet sich im Bett auf und muß leise lachen. Und ist wach wie am hellen Tage. Nun versteht sie
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