Heinrich Spoerl
geschrieben; er hoffte, daß hier bald ein fetter Name prangen würde. Um das Aktenstück lag die Kartonmappe, die um alle Aktenstücke gelegt wird und durch ihre Farbe den Grad ihrer Eile bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft ist die Kavallerie der Justiz, bei ihr sind alle Sachen eilig. Dennoch gibt es genau gestufte Unterschiede: Blaumappen, die normalen Sachen, dürfen bis zu einer Woche liegen. Rotmappen, das sind die Haftsachen, höchstens drei Tage; ein Untersuchungsgefangener soll keinen Tag länger als nötig seiner Freiheit beraubt sein; darin war man sehr penibel. Grünmappen freilich sind noch eiliger und innerhalb vierundzwanzig Stunden zu erledigen; außerdem sind sie mit Angstschweiß und Herzklopfen verbunden, denn bei ihnen handelt es sich um Bericht an vorgesetzte Behörde. Die Maulkorb-Akte hat eine Gelbmappe. Die Farbe schreit und soll schreien; gelb bedeutet »sofort«. Gelb darf überhaupt nicht liegen, muß ununterbrochen in Arbeit bleiben.
Sie war bei Treskow trefflich aufgehoben.
Wegen des Polizeihundes allerdings saß ihm eine geheime Angst im Nacken. Er glaubte nicht an solchen Zinnober, aber will's der Himmel, hat solch eine Kreatur Dusel und frißt ihm die Lorbeeren vor der Nase weg.
Als ihm gegen zehn der Bericht von Sedans Heldentat überbracht wurde und von der herrlichen Blamage, die sich Mühsam mit seinem Köter zugezogen hatte, brach er in schallendes Triumphgelächter aus, in das die andern pflichtgemäß einstimmten. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Überlegenheit bewiesen. Dann aber wurde Treskow ernst und hatte Mitleid mit dem betröpfelten Kriminalkommissar. »Mein lieber Mühsam, ich will nicht ironisch sein und Ihnen zum Lacherfolg Ihres tüchtigen Hundes gratulieren; das überlasse ich Ihren Kollegen. Ihr Sedan hat es sicher gut gemeint, sich alle Mühe gegeben; aber es ist ein unvernünftiges Tier, und Sie selbst können schließlich nichts dazu. Und was mich persönlich anbetrifft, so habe ich einen gesunden Sinn für Humor. Immerhin soll uns der Fall Sedan eine Lehre sein. Stellen Sie sich vor, das Tier wäre bei jemandem gelandet, der als Täter ernstlich in Frage kommen könnte – man bekommt eine Gänsehaut, wenn man bedenkt, welches Unheil ein sogenannter Polizeihund anrichten kann. Ich werde in der Kriminalistischen Wochenschau demnächst darüber schreiben.«
Im Anschluß daran entwickelte Treskow seinen sauber erdachten Plan, einen Plan ohne Hund und mit Hirn:
Das corpus delicti ist ein gebrauchter Maulkorb. Somit ist der Täter – mit hoher Wahrscheinlichkeit – Besitzer eines großen Hundes. Die Zahl der Großhundebesitzer ist nicht erheblich, die polizeiliche Liste darüber liegt bereits vor. Bei diesen Hundebesitzern haben die Ermittlungen einzusetzen. Erstens: Können sie ihren Maulkorb vorweisen? Zweitens: Fehlt an ihrem Mantel der gefundene Knopf? Drittens: Wo waren sie in der vergangenen Nacht?
Diese Feststellungen müssen schlagartig, durch sofortige Haussuchung erfolgen. Haussuchung ist Einbruch der Staatsgewalt in das innerste Privatleben und für beide Teile unerquicklich. Für die Beamten ist es keine reine Freude, in fremder Leute Kisten und Kasten und Schränken herumzustöbern und sich die feindseligen Gesichter anzusehen; es hat für sie auch keineswegs den Reiz der Neuheit. Bei den Leidtragenden ist es umgekehrt, sie haben das noch nie gehabt und wissen nicht, wie man sich dabei zu verhalten hat. Im Knigge steht nichts darüber. Ist man muffig und widerspenstig, macht man sich verdächtig. Tut man nett und zuvorkommend und spendet Zigarren und Kognak, ist man erst recht verdächtig. Am besten ist man nicht zu Hause.
Staatsanwalt von Treskow läßt es sich nicht nehmen, die Expedition persönlich zu leiten. Er führt den Trupp mit bemerkenswertem Schneid und greift durch, ohne Ansehen der Person. Es befinden sich hochmögende Leute auf der Liste, und sie haben nicht alle das rechte Verständnis für die traurige Pflicht eines Staatsorgans. Kommerzienrat Poensgen hat keine Zeit für solche Scherze, knallt die Tür und überläßt die Angelegenheit seinem Privatsekretär. Der uralte Professor Aschenbach glaubt, sein Bernhardiner habe sich schlecht benommen, und will durchaus fünf Mark für das Protokoll bezahlen. Apotheker Lux bekommt einen Wutanfall und telephoniert Beschwerden an den Oberbürgermeister und den Reiter- und Rennverein und alarmiert seinen Anwalt. Bei der Familie Hamacher schlägt das böse Gewissen; der älteste Sohn ist
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