Heinrich Spoerl
kommt gemessenen Schrittes; ein laufender Schutzmann verliert an Würde. Die Menge weicht respektvoll auseinander. Einige Patrioten verdrücken sich; sie fürchten, durch das Anschauen mitschuldig zu werden.
Der Schutzmann reibt sich die Augen. Das Gesicht bleibt ihm stehen. Seine Schnurrbartspitzen zittern.
Wird er das Ärgernis entfernen, den Fall kurzerhand erledigen? – Er tut es mitnichten; er fühlt sich nicht berufen, das ist nicht seines Amtes. Außerdem ist der Fall in der Dienstanweisung nicht vorgesehen. Er umschreitet das Denkmal und stellt den Tatbestand fest. Schreibt in sein Buch und geht.
Die Menge wächst. Es erweist sich als überaus praktisch, daß man das Denkmal mitten auf dem Platz errichtet hat. So ist Raum für alle.
Der Schutzmann kommt mit einem Kollegen zurück. Er hat sich Verstärkung geholt. Es ist zuviel für einen. Sie dampfen beide vor Entrüstung. Vier Schnurrbartspitzen zittern. Werden sie jetzt das Ärgernis entfernen?
Keineswegs. Das ist nicht ihres Amtes. Sie stellen gemeinsam den Tatbestand fest, schreiben in ihre Bücher und spalten sich. Der eine geht und holt weiteren Nachschub. Der andere bleibt und wacht.
Die Menge wächst weiter. Es hat sich rundgesprochen. Der Marktplatz ist schwarz. Alle Fenster sind offen und voller Köpfe, und an den Laternenpfählen hängen Trauben von großen und kleinen Kindern.
Dann kommt ein Wagen mit viel Gebimmel und viel Polizei. Ein zweiter, ein dritter. Der Inhalt ergießt sich auf das Denkmal. Man hat gar nicht gewußt, daß es soviel Polizisten gibt, und ist stolz auf seine Vaterstadt.
An den Maulkorb hat man sich inzwischen gewöhnt. Jetzt interessiert die Polizei.
Das Denkmal ist bereits sachgemäß umstellt und abgesperrt; Leitern und Gerüste werden aufgeschlagen, wichtige Leute mit wichtigen Instrumenten sind an der Arbeit und untersuchen, messen, mikroskopieren und photographieren den bemaulkorbten Bronzekopf. Die Wissenschaft hat das Wort.
Die Menge wächst immer noch. Die ganze Stadt ist versammelt. Das Gedränge wird bedrohlich. – Weitergehen!
Die Menge ist gehorsam und setzt sich in kreisende Bewegung. Sie wird dadurch nicht weniger.
Achtung! Berittene Polizei sprengt heran und drängt die Menschen zurück. Die enttäuschte Menge johlt und weicht. Der Marktplatz wird gesäubert, der umliegende Stadtteil kunstgerecht abgeriegelt.
Die Polizei ist durchaus Herr der Lage.
Inzwischen spielt der Behördenapparat einer geordneten Staatsführung. Telephone klingeln, Telegraphen rattern, Boten hasten. Alle beteiligten Stellen sind aus ihrer Sonntagsruhe aufgescheucht und in höchste Alarmstufe versetzt:
Polizeiverwaltung,
Staatsanwaltschaft,
Kriminalinspektion,
Oberstaatsanwaltschaft,
Justizministerium,
Regierungspräsident,
Ministerium des Innern,
Hofmarschallamt.
Die Allerhöchste Stelle wird geschont. Um sie ist ein schallsicherer Schutzwall gelegt.
***
Seht! Der Herr Staatsanwalt schläft noch.
Frau von Treskow kommt auf Zehenspitzen die Treppe herunter und sagt es in der Küche. Die Billa soll leise sein und nicht mit dem Geschirr klappern.
Auch Trude muß ihren siebzehnjährigen Übermut dämpfen, darf nicht trällern, nicht durchs Haus rufen, nicht über die Treppen stürmen. Pappi muß schlafen. Er hat gestern lange arbeiten müssen, der arme Papa. – Das Haus geht wie auf Samt.
Der Milchmann kommt. Jetzt wird August bellen. August denkt nicht daran. Er liegt wie ein Toter, hat alle Viere von sich gestreckt und schnarcht rau und tief.
Frau von Treskow macht sich in der Garderobe zu tun. Der Mantel liegt auf dem Boden und ist zerknautscht, der Hut hat eine Beule. Es ist nicht nötig, daß die Billa es sieht. Auch Trude geht es nichts an.
Dann geht Frau Elisabeth in den Wintergarten, füttert ihre Aquarien und besorgt die Palmen. Trude ist um sie herum; nicht weil sie helfen will, sondern weil sie Hunger hat. Muß man wirklich mit dem Frühstück warten?
Man muß.
Das Telephon schrillt durch das Haus. Schon ist Billa am Apparat. »Bitte, wer ist da?«
Sie knickst und läuft die Treppe hinauf. »Gnädige Frau, der Herr Oberstaatsanwalt.«
Frau Elisabeth ist schon da und nimmt den Hörer. »Mein Mann? – Er ist eben zum Hause hinaus – Wie bitte? – Ich will sehen, vielleicht kann ich ihn noch – Einen Augenblick bitte.« Sie huscht ins Schlafzimmer.
»Herbert!«
Antwort: Rrr-ch rrr-ch –
»Herbert, das Telephon!«
Rrr-ch rrr-ch –
Sie schüttelt den Schläfer, zieht ihm das
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