Heinrich Spoerl
nehmen.«
Rabanus wendet sich nach links. »Herr Staatsanwalt, Sie tun ja Ihre Pflicht, aber ich meine, gerade Sie hätten am wenigsten Anlass –«
»Ich entsinne mich nicht, Sie um Ihre Meinung gefragt zu haben.«
Schon will das Gericht zur Beratung über den Antrag abtreten, da meldet Rabanus sich zum Wort. – »Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde aussagen. Aber – falsch.«
»Wieso falsch?«
»Sie hören doch: Ich verweigere die Aussage nicht, ich werde alles sagen und alles beantworten, was Sie von mir haben wollen. Aber es wird nicht die Wahrheit sein. Ich werde etwas Falsches sagen.«
»Gut, dann werden wir Sie so lange in Haft behalten, bis Sie richtig aussagen.«
»Keineswegs, Herr Vorsitzender; eine falsche Aussage ist immerhin eine Aussage und keine Zeugnisverweigerung.«
»Aber durch diese falsche Aussage machen Sie sich des Meineids schuldig.«
»Keineswegs, Herr Vorsitzender; denn ich sage es ausdrücklich vorher – ich bitte es zu Protokoll zu nehmen –, daß meine Aussage falsch sein wird. Ich täusche niemanden.«
Also, das ist ganz etwas Neues: ein Zeuge, der seine eigene Aussage von vornherein für falsch erklärt. Hier ist ein juristisches Problem von großer Tragweite und grundsätzlicher Bedeutung.
Ein Gericht besteht aus mehreren Juristen und infolgedessen aus mehreren Meinungen. Zwei so und zwei so. Der Prädikatsassessor hütet sich, eine Meinung zu haben, und blättert in Kommentaren und Entscheidungen.
Schließlich zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.
Die Herren von der Presse funkeln vor Freude. Endlich haben sie den großen Zwischenfall. Zeuge stört durch Mätzchen die Verhandlung, schreiben die Rechten. Zeuge bringt das Gericht in Verlegenheit, schreiben die Linken. Die Mittleren schreiben gar nichts und warten ab.
Der alte Gerichtsdiener klopft Rabanus leutselig auf die Schulter und flüstert ihm aus der Fülle seiner Erfahrung: »Sie, da kommen Sie nicht mit durch.«
Das Gericht kommt aus dem Beratungszimmer zurück. Die Richter setzen sich umständlich in ihre Sessel, der Vorsitzende zuerst, die Beisitzer säuberlich nach ihrem Dienstalter, und blicken missmutig und bedrückt. Was haben sie beschlossen?
Der Vorsitzende verkündet keinen Beschluss. Sondern spricht väterliche Worte zu Rabanus. »Kommen Sie mal etwas näher. Warum machen Sie uns diese Schwierigkeiten? Was haben Sie dabei? Es hat den Anschein, daß Sie den Täter schonen wollen. Stehen Sie mit ihm in persönlicher Beziehung?«
Rabanus sieht abwechselnd den Staatsanwalt und den Bätes an.
»Auch darüber kann ich mich hier nicht auslassen.«
Bätes scheint sich getroffen zu fühlen; er legt den struppigen Kopf auf die Seite und blickt voll Rührung auf Rabanus.
Der Vorsitzende wird noch eine Stufe väterlicher. »Sie haben Mitleid mit dem Mann?«
Rabanus: »Jedenfalls habe ich keine Lust, um eines dummen Paragraphen willen einen Menschen unglücklich zu machen und seine Zukunft zu vernichten.«
Dem Bätes stehen schon die hellen Tränen in den Augen. »Och, Mann«, sagt er mit tremolierender Stimme, »Ihr seid viel zu jut for mich, dat han ich nit verdient. Macht Euch nur selber nit unjlücklich.«
Ist das der Anfang eines Geständnisses?
Rabanus hilft vorsichtig nach. »Außerdem. Herr Vorsitzender, ist die Sache gar nicht des Aufhebens wert. Der Täter war – und das nehme ich hiermit ausdrücklich auf meinen Zeugeneid – der Täter war offensichtlich stark betrunken. Er taumelte von einer Seite auf die andere und lallte wütende Worte, ich habe die Energie bewundert, die alkoholische Verbissenheit, mit der er immer wieder auf das Denkmal losging. Der Mann war im höchsten Grade bezecht und verdient aus diesem Grunde mildernde Umstände.«
Auf mildernde Umstände spitzt Bätes die Ohren. Das geht ihm ein. »Seht Ihr, Mann, dat sagt Ihr richtig. Nit nur bezecht, blau wie ein Veilchen! Elf Jlas Bier im Balg un die Körnches dazu un nix ordentlich jejessen.«
Rabanus: »Vielleicht – das kann ich allerdings nicht auf meinen Eid nehmen – vielleicht war sich der Täter nicht einmal klar darüber, was das für ein Denkmal war. Ich weiß nicht, ob das für die juristische Beurteilung von Bedeutung ist.«
Der Vorsitzende: »Angeklagter, hören Sie mal her. Sie kennen doch das Denkmal unseres Allergnädigsten Landesherrn?«
Bätes: »Un upp dem lass ich nix komme. Ich war Füselier bei de Neununddreißiger, un unser Hauptmann, da hätt immer för mich jesag, Bätes,
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