Heinrich Spoerl
sein Zustand ist beklagenswert. Und als er gar noch Einzelheiten über den nahrhaften Adressenfreund im Westen erzählen soll, wird er plötzlich frech, klopft auf den Tisch und droht mit sofortiger Einstellung seiner nächtlichen Nebenarbeit.
Männer sind am lautesten, wenn sie allen Grund hätten, still zu sein. Aber Erika weiß das noch nicht, und auf die Drohung will sie es nicht ankommen lassen. Sie lenkt vorsichtig ein. Wenn ein Mann nach schwerer Arbeit noch ein Gläschen trinkt oder schließlich auch zwei, so kann man das verstehen.
Sie zieht ihren Knittel aus und tut ihn liebevoll ins Bett. Er wartet es nicht ab, sondern schläft ihr schon in den Armen ein. Durch das Fenster fällt fahles Licht auf den Schläfer. Erika betrachtet aufmerksam sein Gesicht. Sie versteht nicht viel davon, aber es sieht nicht nach geschriebenen Adressen aus. Es bewegt sich leise, als wenn Gestalten und Ereignisse einer lebhaften Nacht durch ein aufgewühltes Gehirn treiben. Und im Zimmer spürt sie etwas Fremdes; es ist ein leiser Duft, den sie nicht kennt. Aber sie kann sich auch irren.
Sie sucht sich zu beruhigen. Wenn Manne bummelt, statt zu arbeiten, dann könnte er kein Geld nach Hause bringen. Aber andererseits, wenn Manne arbeitet, wie er sagt, dann könnte er nicht betrunken sein.
Sie zögert. Auf dem Stuhl liegen seine Kleider. Sie hat es noch nie getan und will es auch bestimmt nicht wieder tun; aber hier sieht es niemand, und es ist schließlich auch in seinem Interesse. Sie nutzt die Gelegenheit und unternimmt eine kleine eheliche Taschenrevision.
Sie hat gar nicht gewußt, wie viel Taschen so ein Mann hat, sie zählt dreizehn Stück. Und was er alles mit sich herumtragen muß: Schlüsselbund, Taschentuch, Zigaretten, Personalausweis, Taschenmesser, Feuerzeug, Notizbuch, Uhr, Kamm, Portemonnaie, dazu alte Fahrscheine, Büroklammern und Kinobilletts, alles unverdächtig, aber es nimmt kein Ende. Daneben allerdings findet sie auch Sachen, die ihr auffallen und mit dem Adressenschreiben in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen: Eine Schachtel Pralinen, die sich leider als leer erweist, ein rotes Papierstreifchen mit dem rätselhaften Aufdruck: »1000,- RM, ohne Gewähr, bei Empfang zu zählen«, und ein Strafgesetzbuch in Dünndruck.
Der Schläfer merkt nichts von alledem. Knurrend träumt er seine Erinnerungen weiter und hört auch nicht das kleine, wütende Fauchen, das Erika von sich gibt, als sie seine am Schrankschlüssel hängende Hose revidiert und dort Dinge zutage fördert, die nicht in eine anständige Hose gehören: Zwei Zahnstocher mit dem Aufdruck »Kempinski« und einen Damenhandschuh, der nach Parfüm riecht.
Auf Grund dieses Befundes hätte Erika jetzt ein unbestreitbares Recht, ihrem Manne einmal eindrucksvoll die Meinung zu sagen. Sie tut es nicht. Sie weiß, dann hat Manne seinerseits auch eine Meinung, die anders lautet. Sie hat es im Laufe ihrer sechsjährigen Ehe an kleinen Dingen hinreichend erfahren: Gegen Knittel kommt sie nicht auf. Gegen Knittel kommt niemand auf. Er würde ihr sofort mit wendiger Logik und logischer Wendigkeit beweisen, welch himmelschreiendes Unrecht sie ihm tut, er würde in fünf Minuten den Fall völlig umstülpen, dann ist er der Beleidigte, und dann muß sie ihm noch abbitten obendrein. Darauf will sie es nicht ankommen lassen. Sie tut, was man immer tut, wenn man nicht weiter weiß. Sie wendet sich an Onkel Alfred.
Onkel Alfred ist Erikas Bruder und eine Art Familienvormund. Er hat in der Oranienstraße ein gut gehendes Beerdigungsinstitut und gilt in Dingen der Moral als anerkannte Autorität. Im Hinblick auf seinen traurigen Beruf hat er sich zwei Sprechtonarten zurechtgelegt, eine gedämpftsalbadernde in Moll für die Trauerkundschaft und eine strahlendheitere in Dur für den Privatbedarf.
Als Erika ihn aufsucht, ist er gerade im Sargmagazin. Und während er auf der einen Seite einer zahlreichen Hinterbliebenenschaft in gedämpftem Trauerklang seine Särge vorführt und die richtige Größe aussucht: »Wie lang war der liebe Tote, wenn ich fragen darf? Ich empfehle diesen, Eiche geritzt ist im Augenblick das Modernste –«, tröstet er zur anderen Seite seine Schwester in fröhlichem Dur: »Ist gemacht, Mädelchen, den Burschen werde ich mir kaufen.«
Am Abend also knöpft Onkel Alfred sich den Knittel vor. Nicht zu Hause, das ist peinlich, und die Kinder stehen herum. Man erledigt das nach Männerart in einer stillen Kneipe.
Dem Knittel kommt die
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