Heinrich Spoerl
Geschichte nicht geheuer vor. Und als Onkel Alfred mit belegtem Räuspern auf dem Stuhl hin und her rückt und zur Sache kommen will, unterbricht ihn Knittel: »Ich weiß nicht, das Bier schmeckt mir nicht bei dem Sauwetter. Wollen wir nicht irgendwo eine vernünftige Flasche trinken?« Alfred hat nichts gegen vernünftige Flaschen, besonders wenn ein anderer sie bezahlt. Außerdem ist man dort ungestörter. Er läßt sich von Knittel in eine seriöse Weinstube verschleppen.
Der ehrwürdige Burgunder gibt ihm ein gutes Fundament für die ernste Mission und löst ihm die Zunge. Aber wieder kommt ihm Knittel zuvor: Die plüscherne Stille geht ihm auf die Nerven, und schräg gegenüber weiß er eine lustige Bar.
Onkel Alfred sagt nicht nein. Er erachtet es für zweckmäßig, ja geradezu notwendig, den Hermann einmal auf nächtlicher Fahrt zu erleben. Man kommt dann auch leichter aufs Thema.
In der lustigen Bar sind lustige Damen, das ist der Zweck dieser Einrichtung. Zwei von ihnen setzen sich ungefragt an Knittels Tisch und bestellen ungefragt Sekt, sie scheinen ihn zu kennen und sagen zu ihm ›Herr Direktor‹. Die eine ist nicht mehr ganz jung und ein bisschen mager und hat es auf Onkel Alfred abgesehen: sie betut sich mit französisch-englischen Brocken, und der Chef des Beerdigungsinstituts nutzt die Gelegenheit, sich hochgebildet zu unterhalten. Dabei behält er Knittel gut im Auge, mehr noch allerdings dessen Partnerin, einen süßen brünetten Bummel, der in Lustigkeit macht und jedes Wort von sich und den anderen mit einem jauchzenden Lacher quittiert und dem Direktor Knittel in immer kürzeren Abständen um den Hals fällt. Onkel Alfred muß staunen; aber er hat Lebensart und haut keineswegs moralisch auf den Tisch. Sondern steht leise auf und raunt Knittel ins Ohr: »Komm mal mit raus, Hermann, ich muß dir etwas sagen.«
Draußen in dem gekachelten Raum, wo der übliche alte Mann eifrig das Waschbecken füllt und das kleine Handtuch hält, senkt Onkel Alfred die Stimme in tiefen Begräbniston: »Hör mal zu, Hermann, es ist mir peinlich genug, und ich wollte es dir die ganze Zeit schon sagen – kannst du mir mit zwanzig Mark aushelfen?«
»Zwanzig Mark habe ich nicht«, sagt Knittel und zieht aus der Gesäßtasche einen Fünfziger hervor. Das ist seine gangbare Münze. Alfred schnarrt mit heller Stimme »all right!« und steckt den Schein unternehmungslustig in die äußere Brusttasche.
Wenige Minuten später muß Knittel feststellen, daß Onkel Alfred gegangen ist. Auch Knittels Dame, die mollige Brünette, ist verschwunden und kommt nicht mehr wieder.
***
In den nächsten Tagen hat Onkel Alfred viel zu tun und für Erika keine Zeit. Und als sie ihn schließlich erwischt, verhält er sich etwas undurchsichtig: Er habe Knittel stundenlang verhört und ihn ausgequetscht bis in die tiefe Nacht, aber das sei eine undankbare Aufgabe.
»Nun sag schon, hat er was mit Mädchen?«
Onkel Alfred flüchtet sich ins Allgemeine: »Wer sieht uns Menschen ins Herz? Der Gerechte fällt siebenmal am Tage.«
Das scheint Erika ein bisschen viel. Und wenn Alfred versagt, muß sie sich anderweitig helfen. Über den Zahnstocher käme sie noch hinweg, aber den Handschuh kann sie sich nicht gefallen lassen. Wenn es auch nur einer ist.
Wozu zahlt man Beiträge? Sie macht die Kinder fein und zieht mit ihnen zur Frauenberatungsstelle. Das ältliche Fräulein ist sehr beflissen und geht der Sache methodisch auf den Grund. Seit wann ist er liederlich? Seitdem er Adressen schreibt? Davon kann es nicht kommen. Aber seitdem er gut gefüttert wird! »Liebe Frau, das haben Sie falsch gemacht. Die Filetbeefsteaks und Schinkenbrote sind ihm in den Kopf gestiegen.«
Hat man erst die Ursache, dann ist Abhilfe leicht: »Kochen Sie vegetarisch«, rät das kluge Fräulein; »das ist gesund und macht bescheiden und zahm. Kochen Sie vegetarisch, da wird ihm der Überschuss an Lebenswandel schon vergehen.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Sehen Sie mich an, seit dreißig Jahren lebe ich ohne Fleisch, und das hat mich vor allem bewahrt; mit Männern oder so habe ich nie etwas zu tun gehabt.«
»Da haben Sie aber viel versäumt«, platzt Erika leise heraus.
»Wie bitte?«
»Ich meine, das leuchtet mir ein«, sagt Erika. »Das mach ich! Und vielen Dank auch.«
Auf dem Heimweg denkt sie über ihren Entschluss nach. Sie hält den Blick steil geradeaus gerichtet und zerrt die Kinderchen hinter sich her. – »Mammi, sag doch mal
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