Heinz Strunk in Afrika
Zeitung. Neuigkeiten aus der Heimat.»
«Brav, der Heinzi. Gell?»
«Ja.»
Langsam und bedächtig isst er seinen Teller leer.
«Ich hatte einen schlimmen Traum. Ich habe von den Büchern geträumt, die ich in meinem Leben nicht mehr werde lesen können. So viele gute Bücher gibt es, und ich werde sie alle nicht mehr lesen können.»
Pause.
«Bursche, ich muss mich für meine Ausfälle entschuldigen. Wir kennen uns jetzt lang genug, du weißt, dass das nicht meine Art ist. Aber die Prüfungen hier sind hart. Ganze zwei beschwerdefreie Tage!»
«Ja, ist schon gut. Aber wart’s nur ab, die Reise wird noch eine versöhnliche Wende nehmen.»
Wir beobachten einen unablässig von einem Ende des Strandes zum anderen latschenden Security-Man. Den ganzen Tag nichts anderes: von rechts nach links gehen und zurück.
«Der Typ da, der muss sich doch unfassbar langweilen.»
«Glaube ich nicht, Bursche. Höchstens ein bisschen. Aber es ist nicht die westliche Langeweile, diese schreckliche, vernichtende, alles zerstörende Langeweile. Hier wird das Leben anders angenommen. Die Menschen ertragen ihr Dasein viel besser.»
«Meinst du?»
«Weißt du, woran der Westen untergehen wird? Nicht an Kriegen und auch nicht an Verelendung oder Verarmung. Am seelischen Unglück! Am epidemisch um sich greifenden seelischen Unglück. Schau uns doch an. Ständig dieses diffuse Unbehagen. Zerknirschung und Verzagtheit, quälende Vorahnung einer Katastrophe. Alles, aber auch alles wird uns zur Qual.»
Pause.
Ich: «Ach, mein Lieber, bald bist du wieder gesund, dann ändert sich auch gleich die Sicht der Dinge.»
«Hoffentlich. Ein Königreich für einen Kaffee.»
«Ich geh uns Cappuccino holen und Sprite.»
«Das ist sehr lieb von dir.»
Wo ist eigentlich Lucy? Wie vom Erdboden verschluckt. Das war’s wohl schon wieder mit unserer kleinen Romanze.
Minutenlang versucht C., eine Zigarette mit seinem abgegnabbelten BIC -Feuerzeug anzuzünden. Er schnippt, schnippt nochmal. Das kleine Rad lässt sich nur schwer drehen. Schnipp, schnipp, schnipp. Ich stelle mir vor, bis oben hin voller Samen zu sein. Alter, abgestandener, ranziger Samen. Bis zur Hutkrempe voller Sacksuppe. Geflutet mit alter, böser Eisoße, die nicht rausdarf. Ihh, wie eklig. Schnipp, schnipp, schnipp.
«Kauf dir doch ein neues.»
Schnipp, schnipp, schnipp, schnipp.
«Nein. So vergeht wenigstens Zeit.»
Schnipp, schnipp. Dann, endlich, kommt die Flamme.
Auf dem Rückweg schreit er plötzlich laut auf.
«Was ist?»
«Ich bin gestochen worden. O Gott, o Gott.»
Sein Gesicht läuft knallrot an, die Lippen zittern, dicke Schweißperlen bilden sich auf der Stirn. Vielleicht eine Allergie, von der ich nichts weiß. Jetzt stirbt er mir unter den Händen weg. Er taumelt.
«Es tut so weh. Es tut so entsetzlich weh.» Er humpelt ein paar Schritte, bleibt stehen.
«Heinz, muss ich sterben?»
Er meint es vollkommen ernst. Die rote Farbe weicht, sein Gesicht wird vor Angst bläulich und ausdruckslos. Mit sanfter Gewalt drücke ich ihn nach unten.
«Ich schau mir das mal an.»
Ein harmloser blassroter Einstich, vermutlich eine Biene.
«Heinz, was ist? Bitte sei ehrlich.»
«Gar nichts, ein Bienenstich, das zwiebelt eine Stunde, und dann ist wieder gut.»
Von einem Moment zum anderen ist er wieder völlig ruhig und gefasst:
«Meinst du? Weiter nichts? Na dann.»
Beim Gehen biegt er seinen rechten Fuß leicht nach außen ab.
Von den Wolfs fehlt jede Spur. Wohl doch abgereist; daheim bereiten sie sich gerade auf den Kirchgang vor, händchenhaltend stapfen sie durchs verschneite Kiel oder Hannover oder Frankfurt. C. hat einen Wall Taschentücher, Nasenspray und Tablettenschachteln vor sich aufgebaut. In Endlosschleife laufen Weihnachtslieder; alles klingt nach Boney M.
«Jingle bells, jingle bells, bum bum bum bum bum.»
C. macht verzweifelte Karpfenbewegungen und deutet auf seine Schläfe.
«Die Verstopfung hat sich eingenistet und strahlt ab in die Zähne. Ein wanderndes Ziehen im ganzen Kiefer.»
Der Höhepunkt der Krankheit sei noch nicht erreicht, außerdem bereite ihm der Insektenbiss weiterhin diffuse Schmerzen, wahrscheinlich sei es eben doch keine Biene gewesen, sondern ein Insekt, dessen Gift erst Wochen später seine volle Wirkung entfalte und, wenn man es schon fast vergessen habe, zum Tod führe.
«Fröhöliche Weihnacht überall, bumbumbumbumbumbum, bumbumbum.»
Die Leute um uns herum machen durch die Bank einen gutgelaunten,
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