Heinz Strunk in Afrika
besinnlichen, festlichen Eindruck.
«Was meinst, Heinzi, was sie am Heiligen Abend für uns vorbereitet haben?»
«Weiß nicht. Nichts wahrscheinlich.»
Mit dem erhofften Weihnachtsschmaus hat das
Christmas Menu,
eine durch die Gewürzmischung geschmacklich gleichgeschaltete Matschepatsche, nichts zu tun. C. stochert auf seinem Teller herum, spießt ein Stück Fleisch auf, um es gleich wieder fallen zu lassen.
«Nun schau dir das an, Heinzi! Sieh doch selbst!»
«Ja, doll ist das nicht.»
«Und das am Heiligen Abend.»
Teilnahmsloses Insichhineinschaufeln. Ich vergleiche den Geschmack mit dem Erinnerten aus meiner Kindheit. Ach, ach, ach.
«
Ihr Kinderlein kommet
, bumbumbum, bumbum.»
Die Kellnerin,
Samy
, erkundigt sich nach unseren Getränkewünschen. Sprite, half liter white wine. Sie erkundigt sich nach C.s Plänen fürs kommende Jahr. Antwort:
«Suicide.»
«I’ll assist you.»
Von wegen, die Kenianer hätten keinen Humor.
«Alle Jahre wieder, bumbumbumbumbum.»
Sieben Tage Trennkost fordern schlagartig ihren Tribut. Ich habe brüllenden Hunger. Einen mörderischen, tierischen, nagenden, bohrenden, zerrenden, reißenden Hunger. Von einer Sekunde zur nächsten. Dammbruch. Mein Körper schreit nach Nahrung, jede Pore in verzweifelter Gier. Wille hin, Wille her, es ist an der Zeit, den Selbstbetrug zu beenden: STUFFED PEPPADEW PEPPERS . CATCH OF THE DAY . CHICKEN NOODLE TERIYAKI . Ein schwarzes Loch. PRAWN SALAD . SIZZLE STEAKS .
«Was ist los mit dir, Bursche? Wieso schlingst du so? Lass dir Zeit, es ist Weihnachten.»
Egal. Mampf, spachtel, schling, würg, schluck. Bald werde ich vom Stuhl plumpsen, mich selber verdauen und einen neuen Kosmos gründen aus Schmieröl, Klopsmasse und Talgschmodder. Selbst zum schwarzen Loch werden, das alles Fett im Umkreis von einer Milliarde Lichtjahren verschlingt. Wegeitern, zerlaufen und auflösen werde ich mich. Sauklumpen, Geschöpf der Sauen!
Dann passiert es: ein dumpfer, tauber, schrecklicher Schmerz. In die Zunge gebissen, mit voller Wucht, beide Schneidezähne, voll die Mitte des Lappens erwischt.
« AHHH oorrrghh.»
«Was ist nun schon wieder, Bursche?»
« OOOOO hhh.»
Der Geschmack des Essens mischt sich mit dem von Blut.
Ich kann nur noch lallen: «Unge, olles Bett aubebiffe.»
«Wie hast du denn das bloß wieder gemacht? Zeig mal her!»
Gott, tut das weh. Ich strecke erzlangsam die Zunge heraus. C. zuckt zusammen.
«Geh, Bursche! So was habe ich ja noch nie gesehen. Ein langer, tiefer Riss. Ein blutiger Klumpen, alles geschwollen. Du wirst eine Narbe davontragen.»
«Ah, ah. Ja, ja.»
Ich schlucke eine Ladung Blut hinunter und stürze aufs Klo. Schwälle dunkelroten Schleims ergießen sich ins Waschbecken. Ich betrachte mich im Spiegel, es sieht aus, als hätte mir jemand in den Mund geschossen. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, bestimmt stehe ich unter Schock. Ein Mann betritt die Toilette und weicht bei meinem Anblick unwillkürlich einen Schritt zurück.
«Oh god. Can I help you? What happened?»
Shit happened, sieht man doch. Verzweifelt winke ich ab, keine Ahnung, wie
auf die Zunge beißen
auf Englisch heißt, Zunge heißt tongue, weiter weiß ich nicht. Der Mann schüttelt den Kopf, wünscht mir
Merry Christmas
und verzieht sich unter lautem Furzen in eine Kabine. Ich schleppe mich zurück ins Restaurant.
«Es bleibt dir nichts übrig, als zu warten, bis die Blutung von alleine aufhört. Ich verstehe nicht, wie einem erwachsenen Mann so etwas passieren kann.»
«Ah, ah.»
«Hier rumzuhocken bringt nichts, du benötigst Ablenkung. Lass uns ins Schmutzige gehen, unser Geld zurückholen.»
Stapf, stapf. Bei jedem Schritt durchpulst ein schmerzhaftes Puckern meine Zunge. Wenn das verdorbene Essen erst einmal in die Blutbahn gelangt, wird alles sehr schnell gehen.
«Eins, zwo, eins, zwo, drei. Lässt die Blutung nach?»
Als Antwort spucke ich eine Ladung roten Schmodder auf den Boden.
«Geh, Bursche, das ist unappetitlich.»
«As soll i mache! Enn I auernd unnerschlucke, wid mi schlech.»
«Dann lass dich ein paar Schritte zurückfallen und mach es irgendwie
dezent
, meine Güte.»
Das Schmutzige passt irgendwie zu meiner blutigen Fresse; ich könnte auf den Teppich rotzen, und man würde keinen Unterschied bemerken. Um die Blutung zu stoppen, drücke ich die Zunge gegen den Gaumen. Fühlt sich schrecklich an, alles voller Zunge, igittigitt. Sie ist bestimmt schon doppelt so groß wie normal. Wenn sie noch mehr
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