Heinz Strunk in Afrika
anschwillt, ersticke ich. Dabei habe ich doch noch so viel vor im Leben! Naja, so viel auch wieder nicht, aber immerhin. Jetzt einen Schnaps zum Desinfizieren, endlich gibt es mal einen guten Grund. Und Bier zum Kühlen. Nach einer halben Stunde liegen wir jeweils mit 100 000 Schilling hinten. Im Schmutzigen
kann
man einfach nicht gewinnen. Und das wissen auch alle außer uns. Dauernd muss ich zum Blutspucken zur Toilette, wo mich wie immer der schlafende Klomann, brüllend laute Musik und grauenhafter Gestank erwarten. Die Zunge puckert und pocht und wird langsam taub. Es ist noch nicht mal elf. Eins, zwo, eins, zwo, drei, vier. Ist das alles beschissen. Lächerlich und beschissen. Wir verspielen die letzten 20 000 und gehen. Keine Waldnutten.
World White Trash
«Darf ich dich nach deinen heutigen Plänen befragen?»
Es scheint ihm besserzugehen.
«Eis icht. Ut so weh bei Speche. Ag du.»
Die Scheißzunge tut weh wie sonst was, sie ist taub und geschwollen, aber wenigstens blutet es nicht mehr. Vielleicht ist das Unglück Vorbote von etwas viel Schlimmerem, neuronale Abschaltung, versehentliche Selbstzerstörung. Irgendwas mit …ologie. Zähne ausbeißen, Zunge durchbeißen, gegen Pfosten und Rahmen rennen.
«Ich bin seit sechs wach und habe herausgefunden, dass die Kenianer am ersten Weihnachtsfeiertag zum Public Beach ausschwärmen. Das ist in der Nähe des
Florida Club
, da könnten wir am Nachmittag hin. Und dann gibt es noch einen anderen Club, die
Tembo Disco
, ganz in der Nähe soll es auch eine Gogo-Bar geben. Wir sollten in den verbleibenden drei Tagen noch etwas erleben. Ich schick Doreen ’ne SMS , dass wir sie erst morgen wieder treffen.»
«As is mit de ugeln?»
«Die lassen wir noch eine Nacht ruhen. Morgen nehmen sie uns dann wieder mit auf die Reise. Wie viel schulde ich dir eigentlich mittlerweile?»
Ich zeige mit der rechten Hand eine Fünf und mit der linken fünf Nullen. Euro.
Wo ist der Junge ohne Namen? Hat winkfrei wg. Weihnachten. Oder er erwartet uns winkend am Public Beach. Die Straßen sind brechend voll, im Schneckentempo quälen wir uns vorwärts. Die Kupplung schleift, hört sich gar nicht gut an. Nach einer endlosen Stunde kommt der Verkehr zum Erliegen. Titus stellt den Motor aus. Schwitzen. Schweigen. Beißender Spritgeruch, bläuliche Bleidämpfe, die Hitze, das Licht ist wie ein bösartiger Tumor. Menschen aus unseren Breitengraden sind für diese Temperaturen einfach nicht gemacht.
«Ich halt daf nicht meh auf, ich dreh duch. Pubbic Beach! Barum ind bir nich im Hotel gebiebe!»
«Reiß dich bitte zusammen, Bursche. Und trink nicht so viel. Nimm dir ein Beispiel an den Menschen hier, die sind eindeutig gelassener. Während wir immer gleich die Nerven wegschmeißen, freuen sich die Kenianer, dass Weihnachten ist.»
Titus fragt, ob er das Radio anstellen darf. Ja, sicher, gerne. Die Liveübertragung eines Fußballspiels. Die Lautsprecher scheppern und scharren und quäken. Nerv. Klöter, klöter. Irgendwas klötert. Die Laune erreicht einen neuen Tiefpunkt. C. schnippt seine Kippe aus dem Fenster und murmelt vor sich hin.
«Indes wie blasser Kinder Todesreigen um dunkle Brunnenränder, die verwittern, im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.»
«Wa oll as?»
«
Verfall
von Georg Trakl, ein sehr schönes Gedicht.»
«Ön? Weiß nich.»
Kaltes, dunkles Bildergerinnsel. Bloß nicht von anstecken lassen. Titus telefoniert. Eine alte Frau, ein schroffes Knochengespenst, klopft an die Scheibe. Sie starrt uns aus großen, flatternden Augen an und winkt uns seltsam aufgedreht zu. Unheimlich. Wir winken ängstlich zurück. C. fummelt an seinem Handy und pfeift tonlos vor sich hin. Ich spüre, wie sich die Schweißflecken unter meinen Achseln ausbreiten.
C. knetet an seinem Bauch herum.
«Nicht nur, dass ich dick bin, auch meine Haltung ist schlechter geworden.»
«Ah wa.»
«Doch. Ich esse viel zu viel Junk-Food. Aber statt uns mit unseren Wohlstandsproblemen endgültig die Laune zu verderben, sollten wir unseren Fahrer mal ins Gespräch einbinden. Es ist unhöflich, ihn immer außen vor zu lassen. Schließlich ist er fast so was wie unser Freund.»
«Ie enn?»
«Uns für ihn
interessieren
. Wo er herkommt. Was er vorhat. Familie. Was weiß ich. Titus?»
Er schaltet das Radio ab und dreht sich erwartungsvoll um.
«Have you been living in Mombasa your whole life?»
«No.»
Er sei in einem kleinen Dorf hundert Kilometer nördlich aufgewachsen. Mit zehn
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