Heinz Strunk in Afrika
Jahren habe er beide Eltern verloren, einer seiner Onkel habe ihn danach bei sich und seiner Familie aufgenommen, wenig später seien sie nach Mombasa gezogen. Er habe mit neunzehn Jahren geheiratet, seine Frau sei mit dem dritten Kind schwanger. Sie habe eine Zeit im
Dolphin Beach
gearbeitet. Ob wir wüssten, dass die Hotelangestellten nur siebzig Dollar im Monat verdienen? Und so einen Job zu bekommen, sei schon ein großes Glück.
Der Wagen vor uns setzt sich in Bewegung. Endlich. Wir biegen links ab zum Public Beach, nach ein paar hundert Metern ist dann endgültig Schluss. Titus rät uns, zu Fuß zu gehen. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein. Die Leute sind weihnachtlich herausgeputzt, besonders die Kinder und Jugendlichen sind auffallend schön. Wir lassen uns in der Menschendünung mittreiben, ich fühle mich irgendwie geborgen und aufgehoben. Nach einer halben Stunde erreichen wir den Strand.
«Inks ode echts?»
«Rechts. Schau, da ist ein Haus, sieht aus wie ein Restaurant oder so. Ich habe Hunger.»
Der zweistöckige Schuppen aus rohen Bretterwänden hat ein Satteldach aus rostigem Wellblech, das im Wind klappert. Wir gehen hinein. Die Decke hängt durch, und die Wände zerbröckeln. Die Fenster sind mit Brettern zugenagelt, Tapete klebt in den Ritzen, man kann noch die Fetzen der alten Blümchenmuster sehen. An den kahlen, grauen, mit Vogelkacke bespritzten Wänden hängen verblichene und zerrissene Poster. Wir klettern eine Holztreppe hinauf in den ersten Stock, der bis auf einen demolierten Billardtisch leer ist.
«Das war ja wohl nix. Lass weiter.»
Wir erreichen eine große, gutgefüllte Terrasse mit direktem Zugang zum Meer. Ein einzelner Tisch ist noch frei. Wir bestellen Schwertfisch mit Pommes. Am Nebentisch sitzt ein massiger Hüne mit einer starken, gewölbten Stirn vor einem Teller mit Hühnchen und Reis. Er isst mit den Händen. Nach einer Weile dreht er sich zu uns und lächelt. Eine Rinne glänzenden Fetts ist auf dem Kinn eingetrocknet.
«Hello, I saw you at the
Florida
. How are you?»
«Oh, fine, thank you.»
«I wish you a merry Christmas.»
«Thank you, the same for you.»
Er wendet sich wieder seiner Mahlzeit zu.
C., leise: «Siehst du, die Leute mögen uns. Vielleicht sind wir doch keine so schlechten Menschen.»
Das Essen ist ungenießbar, der Fisch trocken und die Pommes fast roh, nach ein paar Bissen kapitulieren wir, holen uns Bier und suchen uns ein freies Plätzchen am Strand. Die Leute haben Decken ausgebreitet und kleine Feuer entzündet. Ich wünschte mir, vom eintönigen, dumpfen Brausen des Meeres, vom leisen Rauschen der Gespräche behütet einzuschlafen. Die Farbe der Gischt wechselt in ein trübes Goldgrün. Ich kann mir gerade nichts Schöneres vorstellen, als unter lauter Kenianern hier am schmutzig-grauen Strand zu sitzen. Ein kleines Mädchen rennt auf mich zu, drückt mir eine Plastikschaufel in die Hand und plappert fröhlich drauflos. Ich nicke ratlos und bescheuert. Da kommt auch schon die Mutter, eine große, hagere Frau. Sie lächelt mich freundlich an. Ihre Zähne sind bis auf ein paar kleine bräunliche Stümpfe abgefault, Arthritis hat ihre Hand verkrüppelt. Sie nimmt ihre Tochter auf den Arm, dann verschwinden sie in der Menge. Die Sonne geht unter, langsam leert sich der Strand. Das Blut pocht in der Höhlung meines Handgelenks, ich spüre ein Leichterwerden, ein angenehmes Verflüchtigen meiner selbst. Das Leben scheint so überaus lang zu sein, dass kein Ende abzusehen ist. Zu Hause würde ich nichts tun, als von einer Ecke in die andere zu gehen und zu pfeifen, denke ich und muss lachen.
«Was ist?»
«Ichts.»
«Wir könnten Titus mal zu Hause besuchen.»
«Meinssu?»
«Zu Anfang dachte ich, seine Freundlichkeit ist gespielt. In Europa hasst doch jeder, der vom Tourismus lebt, seine Gäste. Jetzt scheint es mir, als würde den Kenianern das Zynismusgen fehlen.»
«Ah.»
«Aber woher sollen
wir
das wissen. Sicher nicht nach drei, vier Ausflügen ins Casino. Wir sollten uns davor hüten, irgendwas zu glorifizieren.»
«Aa.»
«Wie schön das Leben sein könnte, wenn man seine Existenz nicht für Zufall hielte, sondern sich als Teil von etwas Allgemeinem begreifen würde.»
Wir drehen uns auf den Rücken, der Tag endet mit einem purpurroten Sonnenuntergang.
Einpennen.
Ich werde davon wach, dass mir C. Wasser auf die Stirn träufelt.
«Du hast wirklich einen gesegneten Schlaf. Es ist gleich elf,
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