Heinz Strunk in Afrika
herauszuquetschen. Woher ich käme.
«Hamburg.»
Ihre Augen drehen ins Weiße, der Blick verschwimmt. Bevor sie endgültig abtritt, setze ich nach:
«It’s a town in Northern Germany. Are you working here every day?»
Ja, lallt sie, von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Aber nur nebenbei, sie würde in ein paar Monaten ihren Universitätsabschluss machen.
Aha.
In einem jähen Aufbäumen setzt sie sich auf meinen Schoß und küsst mich. Ihre ausgestreckte Zunge klöppelt wie wild in meiner Mundhöhle hin und her, dabei greift sie mir zwischen die Beine. So fühlt sich das also an. Ob ich Lust auf eine private Show hätte. Nein, heute nicht, aber morgen auf jeden Fall, versprochen. Sie fragt nach meiner Telefonnummer. Ich gebe sie ihr. Sofort ruft sie an. Als es klingelt, ist sie beruhigt. Ob wir uns morgen Nachmittag im
Nakumatt-Center
treffen, 15 Uhr. Ja, klar.
26. 12. 2007
Psychologisch gesehen ist Weihnachten am zweiten Feiertag vorbei. Manchmal auch schon am ersten. Oder Heiligabend, direkt nach der
Tagesschau
. Je älter man wird, desto früher ist Weihnachten aus. Vor Einführung des Privatfernsehens war Weihnachten schon deshalb ein
Event
, weil auch nachmittags Programm ausgestrahlt wurde, während des übrigen Jahres gab es bis siebzehn Uhr das Testbild. In der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wurden neben dem ewigen Winnetou die legendären Weihnachtsmehrteiler ausgestrahlt. Nicht die Geschenke, das TV -Programm machte Weihnachten zu einem Ereignis. So war das damals.
In nicht einmal 48 Stunden werden wir das Land verlassen. Auch schon wieder traurig. Selbst leichte Abschiede fallen schwer. Auf meine siebenunddreißig MMS habe ich lediglich elf Antworten erhalten. Dafür hat Candy bereits dreimal angerufen.
Big Pool. Gebeugt über den Sportteil der
Bild
, schaufelt C. abwesend Weingummi in sich hinein. Gefangen in greisenhafter Geschäftigkeit, denke ich, überall sind sie zu sehen, die Zeichen des Verfalls.
«Ah, Burschi, schön, dich einmal
vor
zehn Uhr begrüßen zu dürfen. Schau her, bei den Bayern ist die halbe Mannschaft verletzt. Kapselabriss, Prellungen, Zerrungen, Trümmer- und Ermüdungsbrüche, was die Schatzkammer der Sportverletzungen so alles hergibt.»
Seine Kehle ist total verschleimt, die Stimme klingt, als käme sie aus einem Fass.
«Seit wann interessierst du dich für den Sportteil? Ich habe dich in den zehn Jahren, in denen wir uns kennen, noch
nie
den Sportteil lesen sehen.»
Die Zunge fühlt sich pelzig-trocken an, als hätte ich den Mund voller Staub. Beim Sprechen tut’s immer noch weh, aber wenigstens lalle ich nicht mehr.
«Eben, und genau das wird sich ändern. Ich werde auch wieder selber aktiv Sport treiben. Wusstest du eigentlich, dass ich ein guter Skiläufer bin?»
«War. Du warst ein guter Skiläufer. In unserem Alter
war
man alles nur noch.»
«Geh, Heinzi, was soll das? Heute ist Weihnachten, und außerdem, wenn ich sage, ich bin ein guter Skiläufer, dann meine ich das auch so.»
Er hält mir eine Sardine vors Gesicht.
«Ranzig. Vom Verzehr ist dringend abzuraten.»
Und vertieft sich weiter in die Zeitung.
«Ist es nicht sehr riskant, ausgerechnet heute nach Mombasa zu fahren?»
«Geh, Bursche! Das ist doch praktisch der letzte Abend, ich kann den Girls nicht schon wieder absagen. Außerdem, was willst du sonst machen? Vielleicht ins Schmutzige? Du wirst deinem Freund diesen Wunsch nicht abschlagen!»
Mein Handy klingelt. Ich gehe nicht ran. C., erstaunt, dass ich überhaupt mal angerufen werde:
«Wer ist das? Wieso gehst du nicht ran?»
«Candy.»
«Auweh.»
«Was machen wir jetzt?»
«Es ist heute wieder besonders drückend, außerdem bin ich schließlich noch krank. Mir geht es zwar besser als erwartet, aber so kurz vor dem Rückflug will ich nichts riskieren. Du erlaubst also, dass ich mich aufs Zimmer zurückziehe. Ich darf dich wie gewohnt um 19 Uhr an der Poolbar begrüßen.»
«Was? Willst du etwa den ganzen Tag pennen?»
«Wenn möglich, ja.»
«Und was ist mit dem Mittagstisch?»
«Keinen Appetit. Servus.»
«Ahoi.»
Flucht in den Schlaf, stummer Protest gegen unsere Freundschaft, innere Emigration. Ach, ach, ach. Sieben Stunden zähes Ausharren, bleiernes Nichtstun, das wird mir nicht gut bekommen, ganz und gar nicht. Um mich herum allgemeines Dösen, leises Schnarchen, träges Blättern in irgendwelchen Büchern. Jemand hat die
Bild
liegengelassen, gestrige Ausgabe: «8,4 Promille bei Autofahrer in
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