Heirate keinen Arzt
einer gründlichen Untersuchung schwer zu sagen.«
Sie erhob sich und strich ihren Mantel glatt.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte sie. »Wie soll ich das David nur sagen?« Sie zog ihre Handschuhe über und mühte sich, ihre Erregung zu meistern. »Sie lassen mich wissen, wann der Spezialist sie untersuchen kann, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.« Es war nichts mehr zu sagen, und ich hielt ihr die Türe auf. Sie war in heller Stimmung gekommen und ging düster fort. Im Wartezimmer stand ihr Töchterchen auf einem Stuhl und sah den vorbeifahrenden Autos zu.
»Komm, Wendy«, sagte Mrs. Anderson. Da fing sie meinen Blick auf und hob die Kleine vom Stuhl, ehe sie herunterspringen konnte.
»Wo ist mein Seffiettenring?« fragte Wendy, wobei sie auf reizende Weise mit der Zunge anstieß. Eine Frau reichte ihn ihr vom Tisch herüber und lachte ihr herzlich zu.
Wir Ärzte sind an Krankheit und Tod, Angst und Schmerz gewöhnt. Wir dürfen uns von unseren Empfindungen nicht übermannen lassen, denn sonst bliebe uns keine Kraft zu unserer Arbeit übrig. Doch das frohe Lächeln, mit dem Wendy mir Lebewohl zuwinkte, gab mir einen Stich durchs Herz, und ich fühlte mich geschlagen, unfähig. Ich lächelte zurück und vergrub mein Mitgefühl tief im Inneren, wo niemand seiner gewahr werden konnte.
»Der nächste, bitte«, rief ich. Die Sprechstunde ging weiter.
SECHSTES KAPITEL
Auf meinem Frühstücksteller lag eine Karte von Sylvia. Das Bild darauf zeigte eine Ansicht des saronischen Golfs. Der helle Sand und das klare Wasser unter dem leuchtenden attischen Himmel verlockten den Beschauer förmlich, hinzukommen. Draußen stürzten Regenschauer ununterbrochen aus bleiernem Himmel. Ich fühlte Mißmut in mir aufsteigen und wünschte mich nach Kalamaki (so lautete der glanzvolle Name auf dem Poststempel), um mit Sylvia am Meeresstrand faulenzen zu können. Dann wandte ich die Karte um und las, was sie schrieb.
»Mein Lieber«, begann sie, »dies ist der schönste Ort auf der Welt. Jedesmal, wenn die Sonne untergeht, möchte ich heulen. Land und See werden rosa und violett, nie habe ich etwas Herrlicheres gesehen. Wie geht’s mit der Praxis?« (Als ob ihr daran etwas läge!) »Ich habe gesegelt« (mit wem wohl?), »geschwommen und mich an den unzähligen Tempeln rundherum gebildet. Wunderbare Sonne und wunderbares Essen! Komme nächste Woche heim. Einen langen Kuß (falls du noch einen willst). Ich denke an Dich. S.«
»Der Toast ist schon etwas angebrannt«, unterbrach Mrs. Littles
Stimme brutal meinen Tagtraum, und sie stellte den Brotkorb hart auf den Tisch ab. Ich knurrte sie an, sie begriff und ging hinaus, und ich wandte mich meinem kaltgewordenen Spiegelei zu. Sylvias Karte hatte mich aufgestört, den alten Schmerz wachgerufen - und ich beschloß in meiner schlechten Laune, Mrs. Little über ihre elende Kocherei zur Rede zu stellen. Nach zweijähriger Assistenzzeit in Spitälern war ich zwar an die schlechte Zubereitung des Essens gewöhnt, die sich mit eintöniger Regelmäßigkeit wiederholte. Allein, Mrs. Littles Gemantsch mußte man gesehen haben, um so etwas überhaupt für möglich zu halten. Ihr Mangel an Phantasie beim Kochen suchte seinesgleichen. Zu ihren faden Fisch- oder Fleischspeisen tischte sie zerfallende Haufen von Salzkartoffeln auf; von Gemüse schien sie nie gehört zu haben. Ich war sicher, daß ich demnächst die für Skorbut symptomatischen Zeichen an meinen Armen wahrnehmen würde. Es war höchste Zeit, diesem Zustand ein Ende zu bereiten. Als ich meinen Tee getrunken hatte (ihren Versuchen, mir Kaffee vorzusetzen, hatte ich längst Einhalt geboten), begab ich mich in die Küche, um dem Löwen in seiner Höhle entgegenzutreten. Dies bereute ich sogleich, denn sie saß da und knabberte ein Stück Knäckebrot, während ich, vor ihr stehend und somit ohne festen Stützpunkt, ihr gegenüber im Nachteil war.
»Ich wollte nur einmal wegen der Mahlzeiten... Mrs. Little«, begann ich, indem ich mich auf den Absätzen vor- und rückwärts wiegte.
»Wegen der Mahlzeiten, Herr Doktor?«
»Ja, wegen der Mahlzeiten, Mrs. Little.« Ich dachte daran, wie meine Mutter grundsätzlich schwieg, wenn es sich um Haushaltshilfen handelte, weil sie keinen Augenblick vergaß, daß sie stets bereit waren, ihr Bündel zu packen, falls man etwas auszusetzen hatte. Ich war jedoch zum Angriff übergegangen, und so beschloß ich zu sagen, was unter den gegebenen Umständen unerläßlich geworden
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