Heirate keinen Arzt
ich schlief wie ein Bleiklotz, bis Mrs. Little um halb acht die Vorhänge zurückzog und düster bemerkte, es »könnte ein schönerer Tag sein«.
Mein Sprechzimmer war stets leidlich voll. Sowohl morgens wie nachmittags hatte ich fünfzehn bis zwanzig Patienten mit Husten, Schnupfen, allen möglichen Schmerzen, Wunden und Verletzungen. Ich Unterzeichnete Krankenzettel, schrieb Briefe, gab Rezepte, Ratschläge und Einspritzungen. Ich spülte Ohren durch, lauschte auf Atemgeräusche und nähte Hautrisse. Ich beruhigte Kinder und tröstete Mütter, teilte Arznei und Hoffnung und Bruchbänder aus. Langsam faßten die Patienten Vertrauen zu mir und ich zu ihnen. Wenn ich jemanden vor mir hatte, der offensichtlich fand, was ich für ihn tat, könne anders und vermutlich besser gemacht werden, oder der dauernd brummte: »Die Medizin von Ihnen hat mir überhaupt nicht geholfen« oder: »Meine Frau sagt, diese Pillen nützten gar nichts, weil ihre Schwester dasselbe für eingewachsene Fußnägel bekam«, pflegte ich zu erwidern, es wäre sicherlich für uns beide besser, wenn sie sich einen anderen Arzt suchten, da ich ihnen ja nicht zu helfen vermöchte. Zuweilen folgten sie diesem Vorschlag, zuweilen aber - nachdem sie bereits bei allen übrigen Ärzten gewesen - versuchten wir es noch einmal miteinander und kamen mit der Zeit besser aus.
Manchmal gingen Tage hin, bis ich etwas Ernsteres zu sehen bekam als einen Furunkel oder ein Überbein, ein andermal aber konnte aus heiterem Himmel der Tod sein düsteres Antlitz zeigen.
Mrs. Anderson war eine Vierzigerin, groß und schlank, mit einem bezaubernden fünfjährigen Töchterchen, Wendy. Wendy, so berichtete ihre Mutter, hustete nachts dauernd, seit sie vor drei Wochen erkältet gewesen sei. Sie hätte gern, daß ich ihr etwas verschriebe, weil der Husten sie nicht schlafen lasse. Die Kleine zeigte mir strahlend einen Serviettenring, den sie morgens im Kindergarten geflochten hatte, und ließ sich widerspruchslos die Lungen abhören. Eine kleine Stelle horchte ich dreimal ab, und was ich vernahm, freute mich gar nicht. Während ich dem Kind half, sein Hemdchen wieder anzuziehen, wobei ich Sorge trug, das Kunstwerk nicht zu zerdrücken, das es nicht aus der Hand ließ, sah ich, wie die Mutter ihm stolz zulächelte. Ich schickte Wendy ins Wartezimmer voraus und merkte, wie Mrs. Anderson fragend die Augenbrauen hochzog und etwas ängstlich dreinschaute.
»Es ist doch nichts weiter, Herr Doktor?« fragte sie mit etwas gewollter Unbekümmertheit.
»Ich fürchte, leider doch. Mit Wendys Herz ist etwas nicht ganz, wie es sein sollte.« Im Gedanken an das schwere angeborene Herzleiden, das ich soeben festgestellt hatte, konnte ich mich nicht dazu überwinden, das Bild in sehr rosiger Farbe zu malen.
»Ach, das ist ja aber nicht möglich«, wehrte sich Mrs. Anderson. »Das kann doch nicht das Herz sein! Wendy war doch immer ein so gesundes Kind.«
Ich erklärte ihr, daß ich die Unregelmäßigkeit zufällig entdeckt hatte, als ich die Lungen der Kleinen abhörte, und daß Wendy von nun an ein ungemein ruhiges Leben führen und sich in keiner Weise anstrengen sollte. Es schien so lächerlich, dergleichen über ein Fünfjähriges zu verhängen, das so munter wie ein Füllen daherkam -aber es ging um Leben und Tod. Zum Glück gehörte Mrs. Anderson zu den vernünftigen Müttern. Sie weinte nicht und führte sich nicht hysterisch auf. Ich glaube, sie konnte auch nicht sofort den Ernst dessen, was ich ihr eröffnet hatte, ganz erfassen. Sie stellte mir mit ruhiger Stimme sachliche Fragen darüber, wie das Kind zu behandeln sei, und gelobte, sie künftig keinen Augenblick aus den Augen zu lassen. Wendy, so sagte sie mir, sei ihr einziges Kind, und sie und ihr Mann hätten ziemlich spät geheiratet. Ihr Gatte hätte sich einer Operation unterziehen müssen und sei nicht mehr imstande, ihr weitere Kinder zu schenken. Für jede andere Mutter wäre mein Bescheid schrecklich gewesen - für Mrs. Anderson war er vernichtend. Sie stimmte meinem Vorschlag, einen Spezialisten beizuziehen, zu, und ich versprach ihr, Sir Monmouth Higgins, eine große Autorität auf dem Gebiet der Herzkrankheiten und einen meiner früheren Chefs, zu bitten, daß er sich Wendy so bald wie möglich ansehe.
»Und was ist für die Zukunft zu erwarten?«1 fragte Mrs. Anderson und machte sich mit ihren Handschuhen zu schaffen; sichtlich langte ihr vor der Antwort, die sie von mir empfangen würde.
»Das ist vor
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