Heirate keinen Arzt
verübeln.«
»Ja?« machte ich fragend.
»Warum tragen Sie nur diese scheußliche alte Sportjacke?«
Überrascht blickte ich an meiner braunen Tweedjacke mit den ledernen Ellbogenflicken herunter. Sie war bequem, und ich hing sehr an ihr.
»Und sehen Sie sich mal Ihre Hose an, mein Guter, sehen Sie sich Ihre Hose an.«
Meine graue Flanellhose schien mir allerdings an den Knien etwas ausgebeult zu sein.
»Sie müssen sich anständige Kleider zulegen«, fuhr er fort, »wenn Sie Erfolg in der Praxis haben wollen. Sie dürfen nicht wie ein Hilfsarbeiter herumlaufen; schließlich müssen wir ja auch an unseren Berufsstand denken. - Beleidigt?«
»Nicht im geringsten. Ich danke Ihnen, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Mir ist das nie aufgefallen.«
»Vermutlich nicht verheiratet?«
Ich gab zu, daß ich es nicht war, und er fragte mich darauf, ob ich nicht demnächst einmal bei ihm zu Nacht speisen wolle.
»Gewiß, mit Vergnügen«, antwortete ich, aber kaum hatte ich das gesagt, kamen mir seine vier unverheirateten Töchter in den Sinn, deren wenig reizvolle Gesichter und tugendsame Manieren die Zielscheibe mancher Studentenwitze gewesen waren.
»Ich werde meiner Frau sagen, sie solle Sie einmal anläuten«, meinte Sir Monmouth darauf. Es schien kein Entrinnen zu geben.
Die Sekretärin stieß die Tür weit auf und meldete mit weicher Stimme: »Mrs. Anderson.« Mit blassem, angstvoll gespanntem Gesicht trat Wendys Mutter ein.
Als wir uns von Sir Monmouth verabschiedet hatten und wieder unten im Wartezimmer ankamen, fanden wir Wendy auf den Knien ihres Vaters sitzen, der ihr eine Geschichte erzählte. Unfähig zu arbeiten, hatte er sein Büro verlassen, um zu hören, wie die Entscheidung über Wendy ausgefallen war. Als wir eintraten, wandten sich seine Augen seiner Frau zu. Doch auf ihren Zügen war nichts Tröstliches zu lesen, und indem er Wendy behutsam aufhob und in seinen Sessel setzte, kam er quer durch den Raum auf uns zu und schloß seine Frau in seine Arme.
Ich überließ es Mr. Anderson, Frau und Kind mit heimzunehmen, und benutzte die Gelegenheit, die Medizinische Bibliothek aufzusuchen, während ich im Westend war. Ich wollte mir dort ein neues Buch über Hautkrankheiten sowie ein anderes über Kinderheilkunde holen.
In der Bibliothek mußte ich zuerst durch den Verkaufsraum für Schreibwaren, und dort wurde mein Blick durch einen Gegenstand angezogen, der auf einem der Tische ausgestellt war: ein vom Schreibtisch des Arztes zu bedienendes Leuchtschild für das Wartezimmer. Gerade stand die Inschrift unter elektrischem Strom und ließ automatisch alle paar Sekunden die leuchtendroten Worte »Der Nächste, bitte« aufblitzen, nachdem zuvor ein leichtes Surren die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich gezogen hatte. Fasziniert starrte ich das Ding an und dachte dabei an die unzähligen Male, die ich tagtäglich aufstehen, um den Schreibtisch herumgehen, die Tür zum Wartezimmer öffnen und den nächsten Patienten hereinbitten mußte. Wie herrlich mußte es sein, einfach auf einen Knopf zu drücken und den »Nächsten« erwarten zu können!
Der Verkäufer gab mir Auskunft über den Preis des Schildes sowie über die Installationskosten. Doch es war eine recht teure Angelegenheit, und voller Bedauern ging ich weiter in die eigentliche Bibliothek. Beide gesuchten Bücher waren vorhanden. Beim Hinausgehen konnte ich der Lockung des regelmäßig aufblitzenden Leuchtschildes jedoch nicht widerstehen, und ohne der Stimme meines finanziellen Gewissens Gehör zu schenken, bestellte ich mir eines. Mit kindlichem Eifer fragte ich, wann es geliefert werden könne, und war enttäuscht, als ich vernahm, es werde einige Wochen dauern, da viele Bestellungen vorlägen. Ich verließ das Gebäude voll froher Erwartung, im Arm die beiden schweren Wälzer.
Beim Hinausgehen erblickte ich mein Spiegelbild in der Glastüre und sah mich plötzlich so, wie Sir Monmouth Higgins mich beschrieben hatte. Wie ein Bettelstudent sah ich aus, obwohl ich nicht gerade am Bettelstab war und meine Studentenzeit längt hinter mir hatte. Ja, ich mußte mir ein paar Anzüge anschaffen, die mir ein würdigeres Aussehen geben würden!
ACHTES KAPITEL
Am frühen Morgen des Pfingstsonntags wurde ich durch das Läuten des Telefons geweckt. Auf diese Telefoniererei hatte ich mich mittlerweise derart eingestellt, daß ich mit sicherem Griff nur den Arm auszustrecken brauchte, um noch halb im Schlaf den Hörer beim ersten
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