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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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plapperte während der ganzen Fahrt, vor allem über ihre Schule und die Fortschritte, die sie im Rechnen machte. Stolz erzählte sie mir, daß sie jetzt beim Zusammenzählen »behalten« könne.
    »Das ist fein«, lobte ich und beobachtete den hellen Blondkopf mit den meerblauen Augen im Fahrspiegel. »Kannst du auch schon wegnehmen?«
    »Wegnehmen lernt man doch erst in der ersten Klasse«, antwortete sie ganz von oben herab.
    »Und in welcher bist du jetzt?«
    »In der Vorschule. Wissen Sie, warum das Pferd über die Mauer guckte?«
    »Nein, ich weiß nicht...«
    »Weil es nicht durchgucken konnte«, verkündete sie triumphierend.
    »Das ist gut!« lachte ich. »Aber ich wette, du weißt nicht, warum das Huhn über die Straße lief.«
    »Weil es auf die andere Seite wollte!« rief sie fröhlich. Sie zog ein Heftchen und einen Bleistift aus der Tasche und begann, sich Autonummern zu notieren. Wir gerieten allmählich in den Verkehr des Londoner Westends, so daß sie viel zu tun fand. Doch lange verhielt sie sich nicht ruhig.
    »Weißt du«, fragte sie, in das zutraulichere Du übergehend, »was ich mal werden will, wenn ich groß bin?«
    Im Spiegel bemerkte ich, wie Mrs. Anderson sich bei dieser Frage auf die Lippen biß.
    »Nein«, erwiderte ich. »Was willst du denn werden?«
    »Ein Junge«, erklärte sie und bog sich über den Vordersitz, bis ihr Gesicht dicht neben meinem war.
    »Warum denn ein Junge?«
    »Damit ich einen Bus fahren kann.«
    Nun fing sie an zu singen, und gleich darauf bogen wir in die Straße ein, wo Sir Monmouth seine Praxis hatte.
    Zum Glück mußten wir nicht lange in dem großen öden Wartezimmer sitzen, das Wendy aus einem nicht ganz unbegreiflichen Grund für eine Bahnhofshalle hielt.
    Hochgewachsen und etwas geziert, genau wie ich ihn in Erinnerung hatte, reichte mir Sir Monmouth seine fischglatte Hand. Er erkundigte sich, wie ich mit der Praxis vorankäme, hörte sich an, was ich ihm über Wendy berichtete, und meinte dann, indem er seine Fingerspitzen wie zum Gebet zusammenlegte:
    »Na, nun wollen wir uns mal die kleine Patientin anschauen.«
    Wendy benahm sich sehr brav, aber die verbindliche Art Sir Monmouths war mehr angetan, einen Erwachsenen als ein Kind zu beeindrucken. Ihr fröhliches Geplauder versiegte, und sie tat alles, was von ihr verlangt wurde, in vollkommenem Schweigen, während ihre weit offenen Augen das ausdruckslose Gesicht des Untersuchenden nicht losließen.
    Als er fertig war, schickte er Wendy samt ihrer Mutter wieder ins Wartezimmer hinunter und trat zu mir an den Kaminsims, auf dem, obwohl es fünf Monate nach Weihnachten war, noch immer eine Glückwunschkarte von einem Mitglied der königlichen Familie weithin sichtbar prangte. Er legte mir den einen Arm um die Schultern und strich sich mit der anderen Hand über seinen gepflegten schwarzen Schnurrbart. Dieser Geste erinnerte ich mich noch aus meiner Studentenzeit, und ich entnahm der Erregung, die sie bekundete, daß er bei seiner Untersuchung der Kleinen nichts gefunden hatte, das zu irgendeiner Hoffnung berechtigte.
    »Einziges Kind?« fragte er.
    »Ja.«
    »Traurig«, murmelte er. Dann: »Haben Sie in der letzten Nummer der Medizinischen Monatsschrift meine Abhandlung über angeborene Herzleiden gelesen?«
    Ich gestand, daß sie mir entgangen war; Sir Monmouth sah ganz aufgeregt aus.
    »Zu meinem Leidwesen muß ich Ihnen sagen, daß ich mit Ihrer Diagnose durchaus übereinstimme«, sagte er und begann mit mir das riesige Zimmer abzuschreiten. »Wie Sie wohl wissen, gibt es nichts, was ich für Ihre kleine Patientin tun kann. Ich darf ja sicher annehmen, daß Sie die Mutter über die notwendige Pflege des Kindes unterrichtet haben.«
    Ich bejahte, und nachdem wir die Einzelheiten des Falles durchgesprochen hatten, klingelte er nach seiner Sekretärin, um ihr aufzutragen, sie möchte Mrs. Anderson wieder heraufführen.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Kleine hergebracht haben«, wandte er sich an mich, nachdem die gewandt auftretende junge Sekretärin wieder entschwunden war. »Ich hoffe, wir werden Gelegenheit finden, in absehbarer Zukunft zusammenzuarbeiten.«
    Ich überhörte die Anspielung und dankte ihm für sein Gutachten über Wendy.
    Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und legte die Fingerspitzen aneinander, um sie aufmerksam zu studieren.
    »Nur eines möchte ich noch sagen, ehe die gute Dame hereinkommt«, begann er dann von neuem, »und ich hoffe, Sie werden es mir nicht

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