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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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je vorgekommen waren. Sie war stocktaub und hörte seit über dreißig Jahren keinen Ton. Sie sah nur auf einem Auge, und das schlecht, und war nahezu achtzig Jahre alt, dennoch aber stand .sie jeden Morgen um sieben Uhr auf, kochte für die Familie der Tochter, bei der sie lebte, strickte, häkelte und verfertigte unzählige Teppichvorlagen. Ihre Kleidung und sie selbst sahen tadellos gepflegt aus, obwohl sie offenbar niemandem erlaubte, ihr zu helfen oder ihre Sachen zu waschen. Nun lag sie im Haus ihrer anderen Tochter auf der Couch und strickte an einem Kinderjäckchen.
    Sie sah nicht auf, als ich ins Zimmer trat, da ich außer dem Sehbereich ihres »guten« Auges war, und hören konnte sie mich natürlich nicht. Ihre Tochter kniete bei ihr nieder und murmelte:
    »Der Herr Doktor ist eben gekommen, Großmutter.«
    Großmutter zog hörbar die Luft ein und wandte den Kopf zur Seite, bis ich in ihr Blickfeld kam.
    »Leider muß ich sagen, daß sie nicht sehr viel von fremden Ärzten hält«, sagte ihre Tochter entschuldigend. »Mein Schwager, in dessen Haus sie lebt, ist nämlich Chirurg, und für sie existiert nun einmal kein anderer Arzt.«
    Wir schüttelten einander die Hände, und in einer merkwürdig hohen, etwas schrillen Stimme, deren Klang sie ja nicht selber hören konnte, sagte Großmutter: »Guten Morgen.«
    »Wollen Sie ihr sagen, daß ich mir gern ihr Bein ansähe?«
    Großmutter empfing die gemurmelte Mitteilung und legte ihr Strickzeug beiseite, um sich den Strumpf herunterzurollen.
    Sie schien sich den Schenkel gebrochen zu haben, und ich bat die Tochter, ihr begreiflich zu machen, daß sie sich im Krankenhaus röntgen lassen und möglicherweise einer Operation unterziehen müsse. Nach einiger Schwierigkeit infolge der ungewohnten Ausdrücke verstand Großmutter, was ihre Tochter ihr sagte.
    Sie drehte sich nach mir um.
    »Nur keine Angst«, suchte sie mich zu beruhigen.
    »In unserer Familie bedeutet eine Operation gar nichts.« Und obgleich sie beträchtliche Schmerzen ausstehen mußte, rollte sie ihren Strumpf wieder auf und fing gleich wieder an zu stricken.
    Nachdem ich in drei Spitälern vergebens angeläutet hatte, gelang es mir endlich, sie unterzubringen, und ich schrieb einen Brief, den sie mitnehmen sollte.
    »Mein Schwiegersohn hätte ja schon nach mir gesehen«, sagte sie noch, als ich mich verabschiedete, »aber ich mußte ausgerechnet hinfallen, während er in Frankreich die Ferien verbringt.«
    »Im Spital werden sie schon gut für dich sorgen«, beruhigte sie ihre Tochter, »und nächste Woche ist Henry ja wieder da.«
    An der Tür machte ich der Tochter Komplimente über ihre Mutter.
    »Ja«, erwiderte sie, »ich weiß das. Sie will durchaus niemandem zur Last fallen. Leider sagt Henry, obwohl sie es nicht ahnt, daß ihre Sehkraft rasch schwindet, so daß wir bald keine Möglichkeit mehr haben werden, uns mit ihr zu verständigen.«
    Ich verließ das Haus mit traurigen Gedanken über die alte Dame, die sich so bald in einer Welt des Schweigens und der Finsternis befinden würde. Je länger ich meinen Beruf ausübte, um so unerfindlicher wurde mir das Schicksal der Menschen. Innerhalb weniger Stunden hatte ich zwei Frauen gesehen, die ihre Heimsuchungen nicht verdienten. Das hatte mir schon oft zu schaffen gemacht, doch in jüngster Zeit nicht mehr so sehr wie in meiner Studentenzeit. Heute nahm ich die Dinge mehr oder weniger hin, wie sie mir begegneten, stellte nicht mehr so viele unbeantwortbare Fragen und beschränkte mich mehr auf meine eigene Aufgabe, die Leiden meiner Kranken zu heilen oder zu lindern.
    Meine Erkältung entwickelte sich rasch. Auf der Schwelle meines nächsten Patienten hatte ich wieder einen Niesanfall.
    »Haben Sie Schnupfen?« fragte mich die Hausfrau, die mir die Tür öffnete. »Sie sollten zum Arzt gehen!« Ich war nicht in der Stimmung, auf ihren Scherz einzugehen. Ich sah nach dem Kind im Bett, dessen dickgeschwollene Mandeln einen häßlichen Anblick boten, und erledigte meine übrigen Besuche so rasch ich konnte. Um die Mittagszeit fühlte ich mich abwechselnd von kalten Schauern und Schweißausbrüchen erfaßt und stritt mich mit Mrs. Little, die mir unbedingt ihre Fleischpastete aufnötigen wollte.
    »Bei Schnupfen soll man tüchtig essen, bei Fieberkrankheit das Essen vergessen«, zitierte sie mir den bekannten Spruch, indem sie resolut mit der Schüssel vor mir stehenblieb.
    »Ach, nehmen Sie das fort«, sagte ich gereizt und stand auf, um mir

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