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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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bestätigte ich und schlug die Garagentür zurück. »Wirklich ganz prachtvoll.«
    Mein Kopf war so benommen, daß ich mich zu längerem Gespräch dieser Art unfähig fühlte. Da ich nicht gut fortfahren konnte, immer nur »Prachtvoll« zu sagen, verschwand ich in die Garage und machte damit der Unterhaltung ein Ende.
    Bei Mrs. Collins wurde ich von Trudi mit freundlichem Lächeln empfangen. Während der letzten Monate war ich zum häufigen Besucher des Hauses geworden, sowohl als Arzt wie als Freund.
    »Mrs. Collins liegt zu Bett?« fragte ich.
    Trudi nickte und krampfte die Rechte über ihrem Herzen zusammen. »Arge Schmerzen«, sagte sie, und ihr rundes Mädchengesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.
    Im Schlafzimmer wandte mir Mrs. Collins zum Gruß nur die Augen zu. Still lag sie unter der Decke; seit meinem ersten Besuch war sie magerer geworden. Ihre Gesichtsfarbe war zwar noch gut, jedoch waren die Wangen schmäler. Nach der Untersuchung machte ich ihr eine Einspritzung gegen die Schmerzen und setzte mich, da ich nur wenige Besuche und keine dringenden zu machen hatte, neben ihr Bett, um zu warten, bis die Spritze ihre Wirkung tat. Auf der Stuhllehne lag ein neuer, soeben erschienener Band ihrer Kindergeschichten. Ich fragte, ob ich ihn mir ansehen dürfe. Sie nickte. Ihre Augen, denen die Schmerzen anzumerken waren, folgten mir, während ich die Seiten rasch durchblätterte, um mich an den reizenden Illustrationen zu erfreuen. Doch als ich die ersten Zeilen einer der kurzen Geschichten gelesen hatte, fuhr ich fast gegen meinen Willen fort. Die Erzählung handelte von einem kleinen Mädchen, das ein Land entdeckt, in dem es keine Mammis und keine Schulaufgaben gibt, und wo man sich hinter den Ohren nicht zu Waschen braucht. Tagelang lebt das kleine Mädchen Elsie froh und glücklich in diesem Paradies, bis sie von all den Süßigkeiten, von denen sie essen kann, soviel sie mag, krank wird und das Spielen hei Tag und Nacht satt bekommt. Auch die ungewaschenen Ohren werden zur Plage. Da gewährt die Feenkönigin der Kleinen einen Wunsch, und Elsie hat nur einen: wieder in ihr Kinderzimmer und zu ihrer Mutter zurückkehren zu dürfen.
    »Welche haben Sie gelesen?« fragte mich Mrs. Collins.
    »Elsies Wunsch.«
    »Nun, und...?«
    »Es hat mir sehr gut gefallen.«
    Ein karges Lob, so schien mir - und doch vermochte ich nicht auszudrücken, wie wunderbar ich es von dieser sterbenden Frau fand, daß sie das sorglose Glück der Kindheit so vollkommen nachzuzeichnen verstand, wo die Mutterliebe alles bedeutet: Sicherheit, geregeltes Dasein und Zufriedenheit. Aus einer Welt der Schmerzen in vier engen Wänden hatte sie mit leichten, zauberhaften Strichen ein Land der Himmelsbläue und des Glückes erstehen lassen, das auch mich erwachsenen Menschen in seinen Bann zog. Ich fühlte, daß sie mich beobachtete.
    »In allem ist Schönheit zu finden, Doktor - selbst im Schmerz!« sagte sie endlich.
    »Ich möchte gern noch mehr lesen.«
    »Nehmen Sie das Buch doch mit. Oder nein«, verbesserte sie sich, als sie meinen Augen ein Widerstreben ansah, »lieber nicht gleich jetzt. Später einmal können Sie es Ihren Kindern vorlesen. Wenn; ich nicht mehr da bin.«
    Die letzten Worte sprach sie in so sachlichem Ton, als erwähnte sie eine Reise nach Amerika, ohne die leiseste Spur von Selbstmitleid und mit der gleichen Stimme, in der sie mich einst darüber unterrichtet hatte, um wieviel Uhr die Läden schlossen.
    Ihr Schmerz hatte durch die Spritze, die ich ihr gegeben, etwas nachgelassen, und ihre Augen füllten sich mit schwerer Schläfrigkeit. Ich nahm das Buchgeschenk an und packte es mit meinem ärztlichen Rüstzeug ins Köfferchen. Meine Augen brannten, und ich rieb sie, dann nieste ich.
    »Sie haben sich erkältet«, meinte Mrs. Collins schlaftrunken.
    »Sollten sich ins Bett legen, Doktor.«
    »Ach, es ist nichts«, erwiderte ich und behielt ihre Hand einen Augenblick in der meinen.
    »Passen Sie auf sich auf...«, brachte sie noch heraus, dann fielen ihr die Augen zu.
    Die Sonne schien heller als vorher, ich aber fröstelte, als ich auf die Straße trat. Vielleicht hatte Mrs. Collins recht, vielleicht hatte ich mich in meinem durchnäßten Zustand gestern verkühlt.
    Mein nächster Besuch galt der alten Oma einer Familie, bei der sie zu Pfingsten auf Besuch weilte. Sie war, wie mein Zettel besagte, hingefallen und hatte sich am Bein verletzt. Diese Patientin entpuppte sich als eine der rüstigsten alten Damen, die mir

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