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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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frische Taschentücher zu holen.
    Ich braute mir einen heißen Whisky mit Zitrone - die Lieblingsarznei meiner Mutter bei Erkältung -, entlieh zwei Aspirintabletten von Mrs. Little und kroch ins Bett, um die Sache auszuschwitzen. Ich warf ihr einen stummen Dankesblick zu, als meine Zehen am Fußende auf eine Wärmflasche stießen. Als ich soeben im Begriff war, einzudösen, läutete das Telefon.
    Am anderen Ende war Mrs. Slot, die Frau des Buchmachers.
    »Ach, es ist wegen Percy«, sagte sie. »Er gefällt mir gar nicht, Herr Doktor. Er weiß nicht, daß ich anrufe, aber wir sind alle beim Kartenspiel - eine ganze Gesellschaft ist bei uns -, und Percy hustet die ganze Zeit. Ich möchte Sie ja nicht gern am Bankfeiertag stören, Herr Doktor, aber ich dachte doch, ob Sie nicht mal herkommen und ihn ansehen würden.«
    Mein Denkapparat schien nur langsam zu funktionieren. Ich konnte nur mit Mühe verhindern, daß ich mitten im Gespräch einschlief. Etwas Schlimmes konnte es ja nicht sein, und ich wollte Mrs. Slot gerade sagen, sie solle ihrem Gatten zwei Aspirintabletten geben und ihn überreden, zu Bett zu gehen, obgleich ich wußte, daß er das mitten beim Kartenspielen nicht tun würde, als ich mich selbst sagen hörte: »Ich komme gleich mal ’rüber, Mrs. Slot.«
    »Danke, Herr Doktor. Es tut mir so leid, Sie zu bemühen.«
    Was mich veranlaßte, mit meiner hohen Temperatur mich gleich nach dem Genuß von Whisky mit Zitrone und auf gänzlich fühl-losen Beinen zu Percy Slot aufzumachen, werde ich nie ergründen. Schwankend holte ich den Wagen heraus und brachte es irgendwie fertig, nach Orchard Gardens zu einem der riesigen Häuser, wo Percy wohnte, zu gelangen.
    Der große Salon war von Zigarrenrauch erfüllt, und Percy saß mit vorgehaltener Hand an einem Ecktisch und hustete. Als er meiner ansichtig wurde, warf er mir einen ärgerlichen Blick zu.
    »Ich bin ganz in Ordnung, Herr Doktor«, sagte er und schaute über seine Brille hinweg auf seine Hand. »Bloß, daß das alte Übel sich wieder ’n bißchen bemerkbar macht.«
    Er hustete, und wie das klang, gefiel mir gar nicht.
    Ich redete ihm zu, mit mir hinaufzukommen, wo ich ihn untersuchte und feststellte, daß er 40 Grad Fieber und Lungenentzündung hatte. Da er an chronischer Bronchitis litt, war ihm der Ernst seines Zustandes nicht zum Bewußtsein gekommen. Er setzte sich zur Wehr, als ich sagte, er gehöre ins Krankenhaus, aber da er offenbar Sauerstoff brauchte, hörte ich mir sein »Mir fehlt doch weiter nichts, Herr Doktor...« nicht an und telefonierte sogleich nach einer Ambulanz. Als diese anlangte, hatte sich Percys Befinden so Weit verschlechtert, daß er sich widerspruchslos fügte und sich ganz gern auf die Tragbahre betten ließ.
    Nach knapp zehn Minuten lag ich wieder im Bett, wiederum mit einem Gefühl der Dankbarkeit für Mrs. Littles Wärmflasche, und bald schlief ich fest. Nach nur wenigen Minuten, wie mir schien, die in Wirklichkeit aber drei Stunden waren, klingelte das Telefon von neuem. Es muß sicher fünfzehnmal geläutet haben, bis ich mich dazu aufraffen konnte, zu antworten.
    »Wenn es bloß kein Besuch ist«, hoffte ich. Es war die Nachtschwester vom städtischen Krankenhaus.
    »Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe, Herr Doktor«, sagte sie, und ihre singende irische Stimme schien meilenweit entfernt, »aber Ihr Patient, Mr. Slot, ist soeben gestorben. Mrs. Slot hat mich gebeten, Ihnen zu telefonieren.«
    »Percy Slot!« rief ich, mit einem Male hellwach.
    »Ja, so heißt er«, bestätigte sie. »Es wurde so schlimm mit ihm, nachdem Sie ihn hergeschickt hatten, daß der Arzt dafür war, ihn in das Sauerstoffzelt zu legen. Zuerst schien er sich etwas zu erholen, aber dann wurde er auf einmal sehr unruhig und starb ganz plötzlich. Es muß das Herz gewesen sein.«
    »Ja«, sagte ich benommen, »das geschieht zuweilen bei Pneumonie. Danke für Ihren Anruf.«
    »Nichts zu danken, Herr Doktor. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht«, erwiderte ich und legte den Hörer wieder auf.
    Warum ich in jener Nacht noch zu Mr. Slot gefahren bin, weiß ich nicht. Es muß wohl jener besondere Instinkt gewesen sein, jener sechste Sinn, den jeder Arzt im Umgang mit seinen Patienten erwirbt. In Mrs. Slots Stimme hatte nichts Drohendes gelegen, sie hatte keine gefahrdrohenden Symptome genannt. So, wie alles nun verlaufen war, hatte mein Besuch bei dem armen Mr. Slot nichts genützt. Er war der zweite Patient, den ich seit Übernahme der Praxis verlor; der

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