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Heirate keinen Arzt

Heirate keinen Arzt

Titel: Heirate keinen Arzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Treppe hinab.
    »Ach, Herr Doktor, ich wollte Sie gern noch wegen meinem Geschwür...« begann John, während er mir die Wagentür offenhielt.
    »Tut mir leid, mein Guter. Jetzt ganz unmöglich. Ich muß zu einer dringenden Operation.«
    John schien beeindruckt.
    »Ich werd’ Ihnen durchhelfen, Herr Doktor.« Gebieterisch hielt er den Verkehr für den »großen Chirurgen« auf, und da noch Sperrstunde für alkoholische Getränke war, beschloß ich, die Heimfahrt an einer Kaffeebar zu unterbrechen.
    Die Kaffeebar war nicht das Richtige. Ich kam mir vor, als sei ich hundert Jahre alt. In meinen feingestreiften Hosen, meiner perlgrauen Weste und dem gestärkten Kragen war ich entschieden fehl am Platze. Niedergeschlagen ließ ich mich auf einem Eckhocker nieder und sah mir im Spiegel an, was auch ich einmal - es schien nicht lange her - gewesen war. Außer mir war offenbar niemand da, der älter als achtzehn war. Da saßen die jungen Menschen herum, aßen Tortillas und tranken Kaffee und unterhielten sich über Bronzeguß und das gestrige Konzert in der Festivalhalle. Alle schienen einander zu kennen und begrüßten jeden neuen Ankömmling freundschaftlich. Kein einziger hatte einen Schlips oder Socken an, und ich möchte bezweifeln, ob ein einziger seit Monaten beim Coiffeur gewesen war. Während ich sie mir betrachtete, trauerte ich seufzend meiner entschwundenen Jugend nach, als das Leben noch sorglos verlief und allein schon die um die Stuhlbeine gewundenen Füße ein Gefühl von Romantik vermittelten. Selbst der Jüngling, welcher die zischende Kaffeemaschine bediente, und die gänzlich schürzenlose Kellnerin, mit dem prallsitzenden Sweater und dem affektierten Akzent einer Cambridger Studentin tauschten zwischen den Bestellungen rasch einen Kuß aus. Ich blieb nur so lange, wie ich brauchte, um meinen Kaffee hinabzuschütten, und schloß mich dann wieder der Schlange der Arbeitssklaven an, die stoß- und ruckweise durch das Verkehrsgewimmel aus der Stadt in ihre Vorstadtquartiere zurückfuhren. Man kam langsam vorwärts, und als ich endlich daheim anlangte, fühlte ich mich elend und zu allem unlustig. So frohgemut ich dem Nachmittag entgegengesehen, so trostlos war mir jetzt zumute. Ich fuhr an meinem eigenen Haus vorbei und läutete, als ich im Wohnzimmer Licht sah, an Mrs. Humes Haustür.
     

ACHTZEHNTES KAPITEL
     
    Mutter, ein Ausbruch von Masern und die ersten zugigen Böen des herannahenden Winters trafen gleichzeitig ein. Vom Augenblick ihrer Ankunft am Freitagabend bis zu ihrer Abreise am Montagmorgen hörte das Telefon nicht zu läuten und der Wind nicht unter den Türen und durch die schlecht schließenden Fenster hereinzublasen auf. Nicht, daß Mutter das eine oder das andere etwas ausgemacht hätte. Das Telefon beantwortete sie höflich und gelassen, sooft es ertönte, und dazwischen wanderte sie methodisch durch das ganze Haus und verstopfte die Ritzen in den Fensterrahmen mit Wattesträhnen. Mutter war nie umzubringen gewesen, und von frühester Jugend an konnte ich mich keiner Gelegenheit entsinnen, bei der irgend etwas sie derart aufgeregt hatte, daß es mir aufgefallen wäre. Stets war es in unserem Hause - ob bewußt oder unbewußt, wüßte ich nicht zu sagen - die Mutter gewesen, die im Hintergrund waltete. Stets hatten Vater und ich eine Einheit gebildet, während Mutter als eine Art zweiter Verteidigungslinie Dienst tat. Soviel ich wußte, war es ihr immer eine Freude gewesen, Vater und mich selbander abziehen zu sehen, und immer stand sie mit lächelndem Gesicht bereit, uns wieder daheim willkommen zu heißen. Zwischen ihr und Vater schien eine starke Zufriedenheit zu herrschen, die, zum mindesten auf Mutters Seite, auf völliges Verstehen gegründet war. Nie hörten wir ein nörgelndes »Wo seid ihr bloß so lange geblieben? Das ganze Essen ist mir angebrannt«, sondern stets nur ein freundliches »Ich konnte mir gar nicht denken, wo ihr geblieben wärt«. Mutter wurde nie böse, wenn wir mit schmutzigen Schuhen in die teppichbelegte Diele kamen, ein halbfertiges Meccanomodell auf dem Eßtisch liegen hatten, wenn er gedeckt werden sollte, oder den Küchentisch zum Sezieren von Fröschen benutzten. Nur eines konnte sie wirklich ärgerlich machen: wenn ich absichtlich oder unabsichtlich etwas tat, was Vater aufregte oder kränkte. Solange er froh war, war sie zufrieden. In Gegensatz zu vielen anderen Müttern waren Haus und Familie ihr alles. An heutigen Maßstäben gemessen, führte sie

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