Heirate keinen Arzt
die Ärmste. Ich erzählte ihr, daß ich im Winter genau solche Schmerzen habe, und riet ihr, ein elektrisches Heizkissen aufzulegen, das tut mir selbst immer so gut.«
»Mrs. Corfield ist eine achtzigjährige Frau, die ganz allein lebt und kaum genug zum Essen hat, Mutter«, sagte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
Mutter war ganz entsetzt. »Sie soll meines haben, ich kaufe mir dann ein neues.«
Ich suchte ihr die Sachlage zu erklären. »Erstens würde sie sicherlich vergessen, es wieder auszudrehen, und das Haus in Brand stecken. Und zweitens kannst du doch nicht die Wohltäterin bei meinen Patienten spielen. Sobald das sich herumspräche, würde die ganze Gesellschaft: vor der Haustür Schlange stehen.«
Zu weiteren Ermahnungen blieb mir keine Zeit, aber im Hinausgehen hörte ich Mutter noch etwas davon murmeln, daß ihr Heizkissen »wärmereguliert« sei. Dann fuhr ich los.
Es war auch diesmal neun Uhr vorbei, als ich abends todmüde und beinahe außerstande, Mutters Nachtessen zu würdigen, wieder heimkam. Den ganzen Tag lang hatte ich keinen Augenblick verschnaufen können, denn als ich mit meinen Besuchen endlich fertig war, war es auch schon wieder Zeit für die Nachmittagssprechstunde gewesen. Mutter hatte das größte Mitleid mit ihrem armen überarbeiteten Jungen und wollte einfach nicht glauben, daß ich sozusagen den ganzen Sommer jeden Nachmittag auf dem Liegestuhl im Garten oder auf dem Golfplatz verbracht hatte.
»Du hast eben ein schlechtes Wochenende erwischt«, erklärte ich ihr und ließ mir eine zweite Portion Apfelpastete auflegen.
»Ich hoffe, daß du mir auch wirklich die Wahrheit sagst«, erwiderte sie mit kummervoller Miene.
»Und was tätest du, wenn das nicht der Fall ist?« fragte ich zurück. »Ein Briefchen an den Herrn Lehrer schreiben?«
Sie ignorierte meine Bemerkung.
»Übrigens hatte ich eine Besucherin, während du aus warst heute nachmittag.«
»Ah?«
»Du hast mir nie was von ihr erzählt«, fuhr Mutter vorwurfsvoll fort und erweckte damit meinen Argwohn.
»Sie sagte, sie heiße Mrs. Hume, und scheint eine sehr liebe Frau zu sein. Traurig, daß sie geschieden ist.. Aber sie hat mir eine Menge von ihrem kleinen Jungen erzählt.«
»Da hast du sicherlich Vergleiche angestellt?«'
»Ja. Philipp hat anscheinend gern Abenteuergeschichten, während du am liebsten etwas über Autos gelesen hast.«
»Hoffentlich hast du nicht vergessen, sie darüber aufzuklären, daß ich am Daumen lutschte, bis ich vierzehn war.«
Mutter sah beleidigt aus. »Das würde ich doch keinem Menschen je erzählen, mein Junge. Aber diese Mrs. Hume erwähnte zufällig auch, daß Philipp sich vor den langbeinigen Mücken fürchte, und da sagte ich etwas von damals, als wir in Broadstairs waren...«
»Doch nicht etwa von der Maus, Mutter?«
»Ja, doch, und wie sich nachher herausstellte, daß du bloß auf ein Stückchen Wollstoff getreten warst, und wie wir nachher immer ein Nachtlicht in deinem Schlafzimmer brennen lassen mußten.«
Sie blickte mir ins Gesicht.
»Du scheinst ja schrecklich empfindlich geworden zu sein, mein Junge — ganz bestimmt bist du überarbeitet.«
Zum erstenmal begann ich mich trotz Mutters ausgezeichnetem Essen auf Mrs. Littles Rückkehr zu freuen.
Beim Kaffee fragte Mutter unvermittelt: »Gehst du mit ihr aus?«
»Mit wem?«
»Mit dieser Mrs. Hume. Sie schien ja ungemein angetan von dir, aber ich kann nicht sagen, daß ich mich freuen würde, wenn du eine geschiedene Frau heiratetest.«
»Ich habe nicht die mindeste Absicht, sie oder irgendwen sonst zu heiraten, Mutter. Hat sie etwas von Heiraten gesagt?«
»Nicht direkt. Aber so ganz dumm bin ich ja auch nicht.«
Ich kam zu dem Schluß, daß hier ein geplanter Angriff vorliegen mußte. Mrs. Hume wußte, daß Mutter bei mir war, und daß ich aus war, muß sie auch gewußt haben, weil der Wagen nicht vor dem Hause stand. Ich roch Lunte.
»Was hat sie gesagt, Mutter?«
»Ach, eigentlich nichts, an das ich mich besonders erinnere. Sie sprach mir davon, daß sie so einsam wäre und daß durch dich ihr Leben froher geworden sei. Sie hält dich für einen sehr begabten Arzt, tatsächlich.« Mutter sah zu mir herüber: »Na, schau nicht so eingebildet drein.«
Nach einer Weile sagte sie leise:
»Mach keine Dummheiten, bloß wegen Sylvia!«
»Ich werde mich bemühen.«
»Dich hat die Verlobung Sylvias schrecklich mitgenommen?«
Ich nickte stumm.
»Ich kann nicht begreifen, warum sie dich nicht
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