Heirate keinen Arzt
war, hatte ich volles Verständnis für sein Dilemma.
»Guten Tag«, sagte ich entgegenkommend.
»Tag.« Seine Augen überliefen mich wiederum eingehend, dann entschloß er sich, ohne rechte Überzeugung hinzuzusetzen: »Sir.«
Wir erörterten in der Folge das Wetter, das Londoner Verkehrsproblem, die jüngsten Erfolge unserer Fußballmannschaften. Er erzählte mir von seiner auf Abwege geratenen Frau, seinem Gesichtergedächtnis (auf dem seine berufliche Tüchtigkeit beruhte) und der Lunge, die er im Krieg verloren hatte, doch entging mir nicht, daß er in bezug auf mich noch immer beunruhigt war. Seine blauen Augen sagten: Warum arbeitet der Kerl denn an einem Dienstagnachmittag nicht? Was will er da am Haupteingang eines feinen Modehauses? Warum macht er nicht, daß er weiterkommt?
Als es auf halb fünf Uhr zuging, wurde er sichtlich unruhiger. Es konnte ihn seine Stellung kosten, wenn er so einen zweifelhaften Burschen am Eingang herumlungern ließ, während der Adel aus den Salons kam, und wenn er dann nach Taxis zu springen und die Türen der noblen Limousinen aufzureißen hatte, mußte er mich ja notgedrungen aus den Augen lassen.
Fünf Minuten vor halb konnte er es nicht länger aushalten.
»Sind Sie... äh... warten Sie auf jemand?«
»Ganz richtig.« Ich kam ihm nicht zu Hilfe und ließ ihn ruhig auf meine komischen Schnürsenkel starren. Am Morgen war mir der eine gerissen, und ich hatte mir Ersatz aus einem Paar von Faradays Schuhen geborgt, die in seiner Stube herumlagen.
»Auf jemanden von hier aus dem Haus?« forschte er weiter und wies mit zurückgewandtem Daumen auf seine Festung.
»Ja.« Es war jetzt eine Minute vor halb, und ein Beifallsklatschen aus einem der oberen Fenster zeigte an, daß die Modeschau zu Ende war.
»Die Angestellten kommen zur Seitentür ’raus«, sagte er etwas unsicher.
»Und die Mannequins?«
Er sah erleichtert, aber ungläubig aus. »Ah - die Mannequins! Die hier!«
Er blickte auf die Uhr. »Geht noch zehn Minuten. Müssen sich ja erst noch zurechtmachen.«
Er schwang sich scharf herum, als klappernde Absätze und Brocken von Gesprächen im Treppenhaus erschollen.
»Aber fandest du seine Tweedkostüme nicht wunderbar, Darling?«
»Alles war geradezu fabelhaft. Michael hat sich selbst übertroffen. Ich denke, ich werde all meine Sachen bei ihm bestellen.«
»Es regnet doch nicht, oder?«
»Nein, Darling.«
»Taxi, Madame?«
Mein Freund verbeugte sich von den Schultern aus.
Jetzt war ihm die ganze Meute auf den Fersen.
»Taxi, John.«
»John, wo hat Pond den Wagen geparkt? Ach, da sind Sie ja, Pond.«
»War das Brautkleid nicht himmlisch?«
»Meine Gute, wenn man so eine Taille hat...«
Pelze, tadellose Anzüge und eine wahre Flut von Parfüm. Noch nie hatte ich so etwas gesehen. Ich wurde an meinem Eisengitter fast zerquetscht von den Anstürmenden, die nichts außer sich selbst sahen und nichts dachten, als wie sie sich wohl in einer von Michael Reeds Kreationen ausnehmen würden. Als John sie alle in verschiedene Richtungen expediert hatte und die Straße wieder einigermaßen ruhig war, holte er tief Atem und nahm seine goldbelitzte Kappe ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
»Jetzt kommen die jungen Damen gleich ’raus«, sagte er. »Sie warten wohl auf Miss Claire?«
»Nein.«
»Miss Joanna?«
»Nein.«
»Miss Gay?«
»Nein.«
Er warf mir einen langen Blick zu. »Doch nicht etwa auf Miss Sylvia?«
»Ja, tatsächlich.«
An dem neuerscheinenden Respekt in seinen Augen erkannte ich, daß Sylvia wirklich die Krönung des Ganzen war.
»Na, jetzt wird sie sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen, Sir«, sagte er und konnte es nicht lassen, hinzuzusetzen: »Ich hätte wirklich nie gedacht, daß Sie wegen Miss Sylvia da wär’n.«
Sylvia war die erste, die herauskam. Die Augen auf die Eingangsschwelle geheftet, erkannte ich ihre tadellos sitzenden schwarzen Wildlederschuhe mit den unmöglich hohen Absätzen und ihre feinen Fußgelenke, ehe sie die paar Stufen herab war. Sie hielt eines jener kleinen Lederkästchen in der Hand, deren Zweck mir immer so rätselhaft erschienen war, und sah, wie nicht anders zu erwarten, schlechthin vollkommen aus.
John grüßte sie mit breitem Lächeln, das sie erwiderte; dann schritt sie, ihres engen Rockes eingedenk, vorsichtig und graziös die Stufen hinab.
»Ach Lieber«, sagte sie, »ich hab’ dich warten lassen.«
Ich nahm ihren Arm, und zusammen setzten wir uns, von dem immer
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