Heirate keinen Arzt
tief Atem und blieb dann stumm...
Ich gab meiner verlegenen Mutter einen Kuß auf die Stirn und sagte ihr, ich sei im Bilde und würde so rasch wie möglich wieder zurück sein, worauf ich mich auf den Weg zu Mrs. Blake machte. Es war jedoch über neun Uhr, als ich heimkam, und Mutter, deren Essen inzwischen verdorben war, begrüßte mich mit den Worten, sie könne es Mrs. Little nicht verdenken, wenn sie mir weiße Bohnen vorsetze.
Am Samstagmorgen war ich soeben dem Bade entstiegen und schmetterte mit feuriger Leidenschaft das Lied des Toreadors aus Carmen, als ich Mutter etwas die Treppe hinaufrufen hörte. Durch die halbgeöffnete Türe fragte ich:
»Wolltest du mir etwas sagen?«
»Ja, mein Junge«, antwortete Mutters Stimme. »Was soll ich mit der Post machen?«
»Leg sie bitte auf den Tisch. Ich lese sie beim Frühstück.«
Nach einer langen Pause sagte Mutter: »Wie, das ganze Zeug?«
»Ja, bitte, Ma!« (Sie konnte es nicht leiden, wenn ich sie so nannte, aber manchmal tat ich es mit Absicht, um sie zu ärgern.)
Der köstliche Duft, der von der Küche zu mir heraufstieg, trieb mich zur Eile an. Ich sang meine Arie zu Ende, bestäubte das ganze Badezimmer frisch und fröhlich mit Talkpuder und kleidete mich doppelt so schnell wie gewöhnlich an.
In der Tür des Frühstückszimmers blieb ich mit offenem Munde stehen. In Häufchen von zehn und zwanzig aufgestapelt, lagen auf dem davon fast völlig bedeckten Tischtuch wohl an die hundert Briefe.
»Du hast gesagt, ich solle alles auf den Tisch legen, mein Junge«, sagte Mutter hinter mir. »Sag mal, bekommst du immer so viele Briefe?«
Unfähig, diese Frage zu beantworten, griff ich nach dem ersten besten Umschlag und öffnete ihn. Da ging mir ein Licht auf; ich erinnerte mich meines Inserats wegen einer Sekretärin. Offenbar war mein Gebet erhört worden. Ich machte, damit Mutter und ich frühstücken konnten, ein bißchen Platz auf dem Tische frei, indem ich die Briefe kurzerhand auf den Boden fegte, so daß wir nach Farbe des Umschlags, Handschrift und Gutdünken einige herausfischen und während des Frühstücks lesen konnten. Manche der Anwärterinnen hatten noch nie als Sekretärin gearbeitet, waren aber überzeugt, daß sie sich rasch einarbeiten würden; andere wollten wissen, ob es möglich sei, ihre Kinder mitzubringen; eine hatte den Patienten des königlichen Hofarztes vor dreißig Jahren die Türe geöffnet und nahm daher an, daß sie mit Ärzten umzugehen verstehe; und die meisten verlangten übertriebene Gehälter. Ein paar behaupteten, stenografieren zu können, einige wenige beriefen sich auf eine eigene Schreibmaschine, nur wenige schienen über irgendwelche Erfahrung zu verfügen, und eine große Zahl konnte nicht einmal orthographisch schreiben.
Ich hörte das Gartentor zum Sprechzimmer mit beunruhigender Regelmäßigkeit auf- und zugehen und erhob mich.
»Such eine aus, die eine Ahnung von dem zu haben scheint, was sie zu tun hat«, sagte ich zu Mutter, »und engagiere sie, wenn du so lieb sein willst. Ihr erstes Geschäft kann darin bestehen, all diese Bewerbungen zu beantworten.«
Den ganzen Morgen stand das Telefon nicht still. Ich hatte die Idee, daß die Sache Mutter richtig Spaß machte. Das eine Mal, als ich durch die Diele ging, um eine im Auto vergessene Spritze zu holen, hörte ich sie sagen:
»... Ach, ist es ihm jetzt ins Ohr gegangen, dem armen Bürschchen? Ich erinnere mich noch, wie bei meinem Buben - dem Herrn Doktor natürlich - jede Erkältung mit Ohrenweh endete. Ich träufelte ihm dann immer ein paar Tropfen warmes Olivenöl ein.«
»Mutter - das darfst du wirklich nicht!« flüsterte ich ihr durch die halbgeöffnete Küchentüre zu.
»Ach, entschuldigen Sie bitte einen Moment«, Mutter wölbte die
Hand um den Hörer und drehte sich nach mir um. »Was hast du gesagt, mein Junge?«
»Du darfst den Patienten keine Ratschläge erteilen, Mutter. Notiere dir bloß, was sie wollen, und häng dann gleich wieder ab.«
Und ich kehrte ins Sprechzimmer zurück, indem ich mir schreckerfüllt ausmalte, wie viele von meinen kindlichen Taten und Untaten wohl den Patienten enthüllt werden würden.
Meine Besuchsliste ließ dem Spiel der Phantasie nichts übrig. Gegen zwanzig Kleinkinder husteten seit ein paar Tagen und bekamen jetzt einen Ausschlag. Das gab mehr als genug zu tun.
»Was ist mit der alten Mrs. Corfield?« fragte ich Mutter, als ich den letzten Namen der Liste sah.
»Sie hat Arthritis im Rücken,
Weitere Kostenlose Bücher