Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
übersehen.
Seine Nähe machte es ihr nicht gerade leichter, sich auf die seltsamen Wortgruppen und Wendungen der Sprache vor ihr zu konzentrieren.
Latein war Cat nicht fremd. Sie konnte auch Griechisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch lesen. So war es immer schon gewesen. Ihren Vater hatte es mit Stolz erfüllt, dass, wie in den seinen, auch in den Adern seiner Tochter das Blut der Anderen floss. Ihre Mutter war weniger angetan gewesen, und aus Angst vor Gerede hatte sie Cat nach dem Tod ihres Vaters dazu angehalten, ihre Fähigkeiten nie wieder zur Schau zu stellen.
Aber diese Sprache, die sie jetzt vor sich hatte, war wie keine andere, die sie je gesehen hatte. Sie plätscherte und floss dahin wie Wasser, die kühnen Schriftzüge waren wie Wellenkämme, hier und da lenkte ein Tintenfleck von Zeit zu Zeit ihr Auge ab, und die Worte verdrehten und verkehrten sich zu neuen Bildern und neuen Gedanken, sowie sie sich wieder der Schrift zuwandte.
Sie zeichnete die Linie der Feder des Verfassers nach, um sich geistig darauf einzustellen, und nahm sich immer nur ein Wort oder einen Satz vor. Ließ die Sprache sich in ihrem Geist kristallisieren und Bedeutung annehmen. Ihr Kopf schmerzte von der Anstrengung des Übersetzens, die Muskeln an ihrem Nacken und ihren Schultern verkrampften sich zu harten Knoten. » Das Wort des Ercaidu ist wie die Zunge der Schlange. Gespalten und züngelnd. Der Sucher seines Wissens muss dessen Gewicht ertragen. Muss das Leben, das er gekannt hat, aufgeben und einswerden mit Ercaidu. Ihm so gleich werden, wie es den Reinblütigen nichts ausmacht.«
»Was zum Teufel soll das heißen? Und wer ist Ercaidu?« Kilronans Frage unterbrach Cats Konzentration. Sie kniff die Augen zusammen, aber die Worte verformten und verlagerten sich wieder, liefen wie Regen durch ein raues und zerklüftetes Gehirn.
Sie schlug das Tagebuch zu. »Ich weiß es nicht. Ich habe das nicht geschrieben. Aber es hört sich nicht gerade sehr erbaulich an. Nicht, wenn man mit gespaltener Zunge durch die Weltgeschichte laufen muss.«
Kilronan zog sich einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf und stützte die Arme auf die Rückenlehne. Diese lässige Haltung stand in krassem Gegensatz zu seinem angespannten Körper. Sein unerbittlicher Blick suchte Cats und ließ ihn nicht mehr los. Wieder erwachte dieses quecksilbrige, prickelnde Gefühl in ihr. Was war es nur an diesem Mann, das eine so heftige Reaktion in ihr hervorrief? Cat verdrängte die träge Hitze, die die harten, kalten Schichten ihres Misstrauens durchdrang. Hatte sie denn gar nichts aus ihrem Fehler mit Jeremy gelernt?
»Lesen Sie weiter. Was steht da sonst noch?«
Verwirrt von der Kraft und Direktheit seines Blicks und ihrer Reaktion darauf, beeilte sie sich, die Stelle, an der sie aufgehört hatte, wiederzufinden, und überflog die nächsten paar Zeilen, obwohl es ihr Kopfweh noch verschlimmerte. Diesmal sprach der Text von einem Mann namens Toth. Von dem Umfang seiner Macht und seinem aufbrausenden Temperament.
Nachdem dieser Toth den zehnten Kopf abgeschlagen hatte, blinzelte Cat und löste mühsam ihren Blick von dem Gelesenen, rieb sich ihre Schläfen und hoffte, das dumpfe Trommeln hinter ihnen damit zu bremsen. »Was für ein abscheuliches Ungeheuer! Glauben Sie, dass er wirklich die Innereien des armen Kerls gegessen hat?«
Um Kilronans Lippen zuckte es. »Das bezweifle ich nicht. Allerdings klingt es so, als hätte der Bursche es verdient gehabt. Seinen Durst mit Strömen von Blut zu stillen und seine Feinde mit dem Blitz in seinen Augen zu erschlagen? Der arme alte Toth hatte vielleicht einfach nur das Ende seiner Geduld erreicht.«
Cat schürzte ihre Lippen nach einem nervösen kleinen Lachen. Was für eine unsinnige Unterhaltung, die sie hier in diesem staubigen, in Schatten getauchtem Zimmer hielten! Aber für einen Moment lang waren die alten Geschichten beim Lesen zum Leben erwacht. Sie hatte Toth seine mächtige Axt schwingen und seine Feinde die Flucht ergreifen sehen, als er sich einen Weg durch die Gefallenen bahnte, von ihrem Blut bespritzt, als trüge er eine Kriegsbemalung.
Sie hatte in ein Gesicht geblickt, das für die Dauer von zwei Herzschlägen das grimmige, blutbesudelte Angesicht von Kilronan gewesen war.
»Keine Ausreden! Entweder haben Sie Kilronans Tagebuch, oder Sie haben es nicht«, unterbrach Lazarus die gestammelte Rechtfertigung mit erhobenem Zeigefinger, der wie eine Lanze auf sein Gegenüber
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