Heirs of Kilronan 01 - Geheimnisvolle Versuchung
etwa, er würde wegen ein paar Minuten Verspätung schimpfen? Er missgönnte niemandem eine traumlose Nacht. Dafür hatte er selbst zu wenige gehabt in all den Jahren. Aber vielleicht konnte er mit Cats Hilfe eine Antwort auf die Fragen finden, die seinen Schlaf seit Langem störten.
Was hat Vater so angestrengt zu verstecken versucht? , fragte er sich mit einem Blick auf das Tagebuch am Rande seines Schreibtischs. Offensichtlich etwas von Bedeutung. Warum sonst wäre Cat wohl hierher geschickt worden, um es zu stehlen? Dafür konnte es nur zwei Gründe geben. Entweder wollte es jemand lesen – oder er wollte verhindern, dass es gelesen wurde. »Haben Sie schon etwas gegessen?«, fragte er.
»Eine Kleinigkeit in der Küche.« Ein spitzbübischer Glanz erhellte ihre Augen. »Die Dienstboten dort haben mit Argusaugen jede meiner Bewegungen verfolgt. Ich glaube, sie dachten, ich würde das Silber stehlen, wenn sie auch nur blinzeln.«
Aidan lachte, was erstaunlich laut klang in diesem Ehrfurcht gebietenden Grab von einem Raum. »Und? Haben Sie es getan?«
Ein Schatten fiel über ihr Gesicht, das Licht in ihren Augen erstarb. »Ich treibe kein doppeltes Spiel mit Ihnen, Kilronan. Und ich breche auch nicht mein Wort.«
War das eine Beschuldigung? Eine verhüllte Anspielung auf ihre verschlossene Tür? Er hatte sie auf frischer Tat ertappt, da konnte sie sich wohl kaum beklagen, wenn es ihm an Vertrauen mangelte. »Sie haben nur versprochen, zu bleiben und mir bei dem Buch zu helfen. Mich währenddessen zu bestehlen oder nicht, hat nie zu unserer Abmachung gehört.«
Sie blinzelte und kaute an ihrer Unterlippe, eine Eigenart, die ihm in den wenigen Stunden ihres Zusammenseins schon vertraut geworden war. Dann griff sie mit einer ungewollt aufreizenden Bewegung in das lose Oberteil ihres grünen Musselinkleids und zog einen Teelöffel hervor, den sie so vor ihn auf den Schreibtisch legte, dass er wie ein Pfeil in seine Richtung zeigte.
»Haben Sie sonst noch was darin? Den Rest des Gedecks? Oder die silberne Teekanne vielleicht sogar?«
Ihre Augen, die sie unter gesenkten Wimpern verbarg, lieferten ihm keinen Hinweis auf ihre Gedanken. »Platz hätte ich dafür, glaube ich. Aber die Antwort ist trotzdem Nein. Da drinnen ist nichts mehr außer mir.«
Wäre er noch der junge Bursche gewesen, der London wie ein einziges Spiel betrachtet hatte, hätte er sie mit frivolen Anspielungen geneckt. Wäre er der undisziplinierte Lebemann gewesen, der mit jugendlichem Überschwang, den sein älteres Ich verachtete und beneidete, von Eroberung zu Eroberung und Bett zu Bett gehüpft war, hätte er sie charmant gebeten, ihre Unschuld zu beweisen.
Seine Haut prickelte, als wäre sie plötzlich zu eng für seine Knochen, und ihm wurde so heiß, dass sich ein dünner Schweißfilm über seine Schultern legte. Die verkrampften Muskeln in seinem wehen Bein pochten im Gleichklang zu dem Pumpen seines Herzens.
Aber er tat nichts von alldem, was er früher vielleicht getan hätte. Er stand nur auf, wobei er sich so alt vorkam wie die Bücher, die ihn umgaben, und klopfte sich die Krümel des Frühstücks von der Hose. Noch immer ohne etwas zu sagen, führte er Cat zu einem Stuhl und überreichte ihr das Tagebuch.
Cat versuchte, nicht an die demütigende Herausgabe des stibitzten Teelöffels in ihrem Oberteil zu denken. Oder an den unerklärlichen Impuls, der sie den Diebstahl hatte gestehen lassen, noch bevor sie überhaupt beschuldigt worden war. Was hatte sie sich dabei gedacht, in ihrem Mieder herumzuhantieren, als grübe sie nach Gold? Hatte sie seine Ehre auf die Probe stellen wollen? Oder er die ihre? Und wer hatte gesiegt?
Es war nur ein winzig kleiner Zwischenfall gewesen, doch aus irgendeinem Grund erhärtete er die Abmachung zwischen ihnen wie ein Vertrag.
»Warum ist es so wichtig, zu wissen, was in dem Buch steht?«, fragte sie. Dass Sie sich dazu herablassen, mit einer Diebin Tauschhandel zu treiben , hing unausgesprochen zwischen ihnen.
Kilronan fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, rötlich braunes Haar, und Cat ertappte sich dabei, wie fasziniert sie von dem gebräunten Gesicht unter den schön geschwungenen Augenbrauen, den scharf blickenden Augen und strengen, kantigen Zügen war. Sein ganzes Verhalten war das eines Mannes, der in ein Leben voller Privilegien und Macht hineingeboren war. Er hielt sich sehr gerade, strahlte eine Menge Selbstvertrauen aus und schien sich richtig wohlzufühlen in seiner
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