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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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erwürgt habe, und alles innerhalb von zehn Minuten. »Wie die Hühnerchen hingen sie an meinen Fingern!« schrie er in den Waggon. »Seht, so ähnlich!« Er griff sich einen alten Mann mit weißem Bart, packte ihn am Nacken und hob ihn einen halben Meter vom Wagenboden. Dann schüttelte er ihn und warf ihn in die Ecke. »Versteht ihr, was ich meine? Einer muß eine Bande wie euch zusammenhalten, sonst überlebt keiner von uns. Und wer ist der Stärkste, he?«
    Es gab keinen Protest, als jemand schüchtern sagte: »Natürlich du, Kolka. Das ist erwiesen.«
    »Dann macht Platz, ihr stinkenden Rüden!« Kolka Iwanowitsch sucht sich den besten Platz im Waggon, und der, der ihn vorher belegt hatte, nahm seine Sachen unter den Arm und zog schweigend auf ein anderes Brett. Da nur noch in der Nähe des Klosettloches etwas frei war – und hier lag Pjetkin –,zog sich der Mann an seine Seite auf die Pritsche und hockte sich hin.
    »Ich bin Gymnasiallehrer«, sagte er. »Serge heiße ich. Und du?«
    »Ich bin Arzt«, sagte Pjetkin und nickte ihm zu. »Was sich hier so alles trifft. Mörder, Zuhälter, Straßenräuber, Diebe, Einbrecher, Totschläger, Professoren, Lehrer, Ingenieure, Architekten, Betriebsleiter und Ärzte. Die Welt ist bunt, Brüderchen.«
    »Sie ist erstaunlich bunt.« Pjetkin gab Serge die Hand. »Auf gute Nachbarschaft.«
    »Wenn uns Kolka in Ruhe läßt …«
    »Er wird es. Auch er braucht einmal einen Arzt … ich fürchte, wir haben einen langen Weg vor uns.«
    »Zehn Jahre …« Serge, der Lehrer, blickte an die Decke. Dort tropfte es durch eine schadhafte Stelle. »Davon habe ich schon drei herum. Ich kenne das hier alles. Bin siebenmal verlegt worden. Du bist ein Neuzugang?«
    »Ja.«
    »Halte dich an mich, Doktor. Das beste ist, nicht aufzufallen.«
    Die Herrschaft Kolkas erwies sich zunächst als Fehlschlag. Die ersten Tage feuerte er in den Ofen hinein, daß er glühte und es mollig warm im Wagen wurde. Aber als dann die Scheite ausgingen und nur noch zwei armselige Knüppel neben dem runden Eisending lagen, wurden zum erstenmal Zweifel an der Intelligenz des starken Mannes wach.
    »Was nun?« fragte ein anderer Krimineller, ein Frauenschänder, wie sich herausstellte. »Bisher ist uns die Brühe den Arsch hinabgelaufen … sollen wir jetzt mit dem Hintern Schlittschuh fahren? Man hätte das Holz auch rationieren können.«
    »Wer reißt hier die Schnauze auf?« brüllte Kolka. »Natürlich werde ich für neues Holz sorgen.«
    Beim nächsten Halt auf einem armseligen Bahnhof irgendwo zwischen Petropawlowsk und Omsk, einer elenden Blockhütte, in der ein Stationsvorsteher hockte wie ein Bär in seiner Winterhöhle, und wo es heißes Wasser gab und eine Suppe, von der die Häftlinge sofort schrien, es sei das Wasser, in dem sich die Soldaten die Füße gewaschen hätten, erfuhr Kolka, daß die Holzstapel um den Ofen berechnet gewesen seien bis Omsk. Erst dort sollte es neues Brennmaterial geben.
    »Glaubt ihr, wir wollten euch wie Hähnchen rösten?« brüllte ein Offizier des Begleitkommandos. »Wer so blöd ist wie ihr, soll zittern vor Frost! Das hält das Gehirn frei.«
    Kolka Iwanowitsch kehrte zu seinem Wagen zurück und war sehr einsilbig.
    »Aha!« schrie der Frauenschänder, »jetzt pinkelt er sich selbst in die Stiefel, um die Zehen warm zu halten. Ich hab' es gleich gewußt …«
    Kolka schwieg. Doch er sah den Großmäuligen von unten her lange und düster an. Ein Blick, der Furcht verbreitete, denn so rollt nur ein Mann mit den Augen, dem ein Mord mehr oder weniger nichts mehr am eigenen Dasein ändert. Von da ab begann der Waggon langsam zu vereisen. Ein Gefrierschrank auf vier Rädern. Aus der Ritze in der Decke hing ein Eiszapfen, und was zuerst zufror, war die Röhre im Wagenboden. Das einzige Klosett für sechzig Mann. Verzweifelt bemühte sich jeder, wenigstens das eisfrei zu halten. Jeder, der nur irgendwie dazu in der Lage war, urinierte gezielt in das Rohr, hockte sich darüber und versuchte, die sich bildende und immer dicker werdende Eiskruste zu lösen. Aber was ist ein blutwarmer Urin gegen vierzig Grad Frost, den der Fahrtwind noch verstärkt und unter den Waggonboden peitscht?
    Nach zwei Tagen gaben die Männer den Kampf auf … das Rohr war durch Eis verschlossen. Mit der letzten Holzstange stocherte Kolka noch einmal die Röhre frei, ehe er sie ins Feuer warf.
    »Noch einmal alle auf das Loch!« kommandierte er. »Von jetzt an wird nur im äußersten Notfall

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