Heiß wie der Steppenwind
bleibt bei uns!«
»Wenn du nicht das Maul hälst, bezeichne ich die Bremsen an diesem Wagen als schadhaft, und du bleibst hier so lange liegen bis neue Wagen kommen. Weißt du, wie lange das dauern kann? Bis dahin bist du ein Eisklotz, den sie aufrecht an die Wand stellen, um das Grab zu sparen. Also sei friedlich, Bürschchen, und schick den Arzt an die Tür.«
Kolka knirschte mit den Zähnen, spuckte Marko ins Gesicht und winkte Pjetkin zu. »Wir machen einen Aufstand, wenn sie dich wegholen«, flüsterte er ihm zu, als Pjetkin sich anschickte, hinaus in den Schnee zu springen. Sie hielten auf freier Strecke, von den Mannschaftswagen schwärmten die Soldaten aus und umstellten die Waggons. Die Offiziere stapften von ihrem Salonwagen herab.
Zählung. Appell mit den toten Seelen. Ausladen der Toten. Berichtigung der Transportlisten. Dicke Striche durch Namen, deren Träger jetzt steif und bleich vor den zur Seite geschobenen Türen lagen.
»Weigere dich, zum Sanitätswagen versetzt zu werden.« Kolka hielt Pjetkin hinten am Rock fest. Sein Atem wehte ihm in den Nacken. »Und bedenke, Doktor … wir kommen alle in das gleiche Lager. Da hast du einen Freund wie Kolka Iwanowitsch nötig …«
Marko zeigte auf seinen Bauch, als Pjetkin vor ihm stand und ging dann mit ihm ein paar Schritte abseits. Sie taten so, als seien sie Arzt und Patient, aber Godunow berichtete über alles andere als über Magenschmerzen.
»Wir haben jetzt zehn Küchenwagen, zwei Sanitätswagen, zehn Mannschaftswagen, zwei Offizierswagen und vier Magazinwagen im Zug«, sagte er. »Noch weiß keiner genau, wo's hingeht. Alle vermuten, nach Norden. Das wäre schlecht, Igorenka, denn in der Taiga kann man sich besser verstecken als in der Tundra. Dieses Land da oben ist wie ein glatter Tisch mit einem ewig weißen Tuch. Jedes Fleckchen siehst du.«
Pjetkin tastete Marko ab. Dabei schob ihm Godunow ein Stück Brot, eine kleine Dauerwurst, ein Beutelchen groben Zucker und eine Platte gepreßten Tees in die Hände.
»Du denkst doch nicht an Flucht?« fragte Pjetkin und guckte Marko in den Mund.
»Willst du zehn Jahre durchhalten, Igor? Am Eismeer vielleicht? Beim Straßenbau? Hast du schon bei fünfzig Grad Eiswind Bahngleise gelegt? Wir müssen weg, bevor der Zug aus dem Wald kommt. Der Wald ist unser Verbündeter. Ich habe mir da etwas ausgedacht. Etwas Wirksames. Ich werde in der Nacht Alarm geben und sagen: ›Leute, haltet an! Da ist etwas defekt. Ich höre es bis hierher. Guckt nicht so blöd … es ist meine Aufgabe, das zu hören. Dazu bin ich Bahntechniker. Wir werden für unser Gehör bezahlt. Als ich geprüft wurde, saß ich im fünften Stockwerk des Betriebsgebäudes und unten auf dem Hof las der Ingenieur leise die Zeitung vor. Ich habe jeden Satz wiederholt! Ihr glaubt es nicht, ihr Affen? Haltet den Zug an, ich zeige auch die schadhafte Stelle. Ihr könnt aber auch weiterfahren, dann springt der Wagen aus den Gleisen, reißt die anderen mit, und ihr alle überlebt es nicht. Bei der Geschwindigkeit! Bitte, ich sage nichts mehr … meine Witwe wird eine gute Rente bekommen.‹ Wetten, daß sie anhalten? Das wird die Nacht sein, in der wir im Wald verschwinden. Warte es nur ab, mein Söhnchen …«
Die Untersuchung Markos brachte für alle etwas Gutes … der Wagen bekam eine Sonderzuteilung Holz. Fünf Scheite! Kolka holte sie selbst beim Holzwagen ab und war guter Stimmung.
»Ich habe einen Freund getroffen«, verkündete er. »Aus einem anderen Lager. Er gibt den Brennstoff aus. Wir werden jeden Tag fünf Scheite bekommen.«
Fünf Scheite für vierundzwanzig Stunden Kälte.
Am Abend saßen Kolka und Pjetkin zusammen auf Pjetkins Pritsche. Die meisten schliefen schon, ein paar träumten laut, Husten und Gemurmel füllten die stinkende Dunkelheit. Pjetkin griff in die Taschen seiner Steppjacke und holte das Beutelchen mit Zucker und die Wurst heraus. Er stieß Kolka an und führte dessen Hand an den Zucker.
»Woher?« schnaufte Kolka leise.
»Frag nicht und friß.«
»Was hast du noch?«
»Wurst, einen Kanten Brot und Preßtee.«
»Heb den Tee auf. Wir kochen uns morgen ein Kännchen davon. Die Wurst …«
»Hier.«
Kolka biß ab und reichte sie Pjetkin zurück. Schweigend aßen sie die Wurst und das Brot. Dann faßte Kolka Pjetkin an der Schulter.
»Frierst du?«
»Erbärmlich.«
»Dreh dich um.« Er setzte sich hinter Pjetkin, drückte dessen Kopf nach vorn und begann, nachdem er tief Luft geholt hatte, den Nacken
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