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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geschissen!«
    Das ist so leicht dahergesagt, aber wer kann das regulieren, wenn man nur heißes Wasser, eine dünne Kascha aus Haferflockenbrei oder eine noch dünnere Balanda, das ist eine aus Kohl und Kartoffeln gemischte Suppe, aus dem Küchenwagen bekommt? Da kümmert man sich nicht mehr um zugefrorene Röhren, da rumort es im Leib, zerreißt die Gedärme und muß heraus.
    Als der erste Kotbrei über den Wagenboden floß und einen bestialischen Gestank verbreitete, kam es zu einer Schlacht im Waggon. Die Kriminellen zwangen alle Politischen, die guten oberen Pritschen zu räumen und stießen sie nach unten in die Reihe knapp über den Dielen, wo der Gestank am fürchterlichsten war. Das ging nicht kampflos, einige wehrten sich und bekamen Schläge, bis ihnen das Blut aus Mund und Nase floß. Zum erstenmal brauchte man Pjetkin … er rutschte von seinem Brett und verband mit herausgerissen Hemdfetzen. Kolka schaute ihm mit schiefem Kopf zu.
    »Sanitäter, he?« fragte er und stieß Pjetkin die Schuhspitze in die Seite.
    »Nein, Arzt.«
    »Oho!« Kolka musterte Pjetkin mit einer Mischung aus Ablehnung und Achtung. Ein Arzt ist in Rußland immer etwas Verehrenswertes. Ein Arzt war die Barriere zwischen Leben und Tod, und man soll nicht Mauern einreißen, hinter die man sich noch einmal flüchten konnte. Ähnlich schien auch Kolka zu denken. Er sah sich um, bestimmte mit Blicken einen schönen Platz unten links neben der Tür und winkte dem Besitzer dieses Fleckchens zu.
    »Tauschen!« sagte er knapp. Der Mann auf der Pritsche zog die Beine an.
    »Ich bin ein Straßenräuber, Kolka … das da ist nur ein Hohlkopf!«
    »Ein Arzt ist er!« schrie Kolka. »Fliege in die andere Ecke, Spätzchen, sonst bringe ich dich selbst dorthin.« Und zu Pjetkin sagte er: »Sie haben alle keine Manieren, Brüderchen. Sieh, jetzt ist das Plätzchen frei. Belege es!«
    »Ich möchte keine Sonderstellung«, sagte Pjetkin laut. »Ich bin gut aufgehoben auf meinem Brett da oben.«
    »Aber du bist ein Arzt. Einige von uns hier werden die Fahrt nicht überleben, die anderen wird man vielleicht wie Säcke ausladen, wer weiß denn, wohin man uns bringt? Du wirst noch Arbeit genug bekommen, und das erfordert Kraft.« Kolka blickte sich herausfordernd um. »Wer ist dagegen, daß unser Doktor diesen Platz bekommt?«
    Welch eine Frage! Natürlich waren sie alle voll Zustimmung, Serge warf Pjetkin den Reisesack zu und Kolka geleitete ihn zu der Pritsche, als führe er ihn in einem Palast spazieren.
    »Damit Klarheit herrscht«, sagte Kolka, als Pjetkin das Brett in Besitz genommen hat, »du bist Arzt und ich bin der Vormann dieses Wagens. Du liegst besser als ich, aber das ist kein Grund, die Schnauze aufzumachen.«
    Um seine Macht zu demonstrieren, beugte er sich vor und schlug Pjetkin schallend ins Gesicht. Ein leises Stöhnen lief durch die sechzig Männer, aber keiner rührte sich. Auch Pjetkin schlug nicht sofort zurück … er verstand sogar die Angst Kolkas, sein Gesicht zu verlieren.
    »Du hast einen voraus«, sagte er nur ganz ruhig. »Und die Fahrt ist lang, mein Freund …«
    Kolkas Kampf gegen den Kot war zum Scheitern verurteilt, noch bevor er begonnen hatte. Am Tage wagte keiner, die zugefrorene Röhre zu behocken, aber in der Nacht saßen sie über ihr und entleerten sich. Kolka stellte Wachen auf … aber auch die Wachen waren nur Menschen, hatten Balanda gegessen und hundert Gramm glitschiges Brot.
    Nach vier Tagen türmte sich der Kot von sechzig Menschen, gefror auf dem Holzboden, über den draußen der Zugwind mit siebzig Grad Frost heulte, wuchs in Schichten höher, floß auseinander und verbreitete einen Gestank, der einem den Atem zerfraß. Der Dunst des Urins beizte in den Augen, sie begannen zu tränen und brannten rotumrändert. Die Erlösung kam immer, wenn das Essen geholt wurde. Dann wehte eisige Luft in die Wagen; es war frische, reine Luft, eine Köstlichkeit, die man einsog, bis die Lungen schmerzten.
    Viermal gelang es Marko, bis zu Pjetkins Waggon zu kommen. Mit den Essenträgern – natürlich Kriminellen, die Kolka bestimmt hatte – lief er die lange Wagenreihe entlang, kontrollierte die Bremsen und blickte dann in das Innere der Tepluschkas.
    »He, ich habe gehört, ihr habt einen Arzt bei euch?« rief er, als Kolka an die Tür trat und ihn mißtrauisch musterte. »Er soll nach vorn kommen.«
    »Warum?«
    »Ich habe Leibschmerzen.«
    »Geh zum Sanitätswagen, du Beamtenfurz!« schrie Kolka zurück. »Der Arzt

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