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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schneeschwer und die Luft nicht dreißig Grad unter Null. Er schwitzte vor Aufregung und wirklicher Hitze aus dem Dampfkessel. Wann werde ich endlich meine Dunjenka sehen, dachte er und beugte sich aus der Lokomotive heraus. Er sah auf die verriegelten Wagen und die Wache, die unten im Schnee stand. Mein kleines, armes Vögelchen. Er senkte den Kopf und weinte.
    *
    Irgendwie muß die Organisation versagt haben. Es war ein Fehler in der Planung, wie man gleich sehen wird. Denn es geschah in Semipalatinsk, daß sich von Westen ein Güterzug näherte und von Osten auch einer. Und auf dem Güterbahnhof, auf einem weit abgelegenen Nebengleis, standen sie plötzlich nebeneinander, die Soldaten aus Irkutsk begrüßten die Soldaten aus Chelinograd und man rief sich zu, daß man in diesem Semipalantinsk vier Tage Aufenthalt habe. Zusammenstellung des großen Transportes in den Norden. Eine Schlange aus hundert Güterwagen. Eine schreckliche Schlange, denn in den Bäuchen ihrer hundert Glieder lagen sechstausend Deportierte. Männer und Frauen, halbe Kinder noch und Greise am Rande des Grabes. Eine Schlange voller toter Seelen.
    Und hier, auf dem Güterbahnhof von Semipalatinsk, an einem Morgen, der so kalt war, daß die Luft zu knacken begann, hier, zwischen den Schienen und auf festgestampftem Schnee, vermummt bis zur Unkenntlichkeit und mit Eiszapfen an den Wimpern und vor den Lippen, sahen sich Dunja Dimitrowna Sadowjewa und Igor Antonowitsch Pjetkin wieder.

D REIUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Tepluschkas sind Güterwagen aus der guten alten Zeit, aus jenen Tagen, in denen die Soldaten mit ihren Pferden kreuz und quer durch Rußland reisten, von einer Garnison zur anderen, von Manöver zu Manöver, oft wochenlang durch das riesige Land. Dann dufteten die Tepluschkas nach frischem Heu und Pferdemist, nach Schweiß und lockerem warmem Stroh, das Rattern der Räder und das Schaukeln der Waggons wiegten in den Schlaf, in der Mitte des Wagens prasselte das Feuer in dem runden Eisenöfchen, und das verhaltene Wiehern der Pferde war wie Musik. Dreißig Mann reisten in solchen Tepluschkas, eine herrliche deftige Männersache. So wurde Sibirien erobert, nachdem die ersten Schienenstrecken gelegt waren. Aber die Tepluschkas wurden auch verflucht. In ihnen wurde verdammt und gebetet, gehungert und gestorben, gepeitscht und erfroren … dann nämlich, wenn nicht dreißig fröhliche Soldaten sich ins Stroh legten, sondern sechzig erbärmliche, ausgezehrte Strafgefangene auf zweistöckigen Holzpritschen sich drängten, der Ofen am Tag vier krumme Scheite Holz zugeteilt bekam und die Atemluft innen an den Wänden zu einer Eisschicht gefror. Denn diese Tepluschkas beförderten auch seit Jahrzehnten die Verurteilten in die Verbannung, nur weniger komfortabel als das Vieh. Wer einmal in einem solchen Wagen durch Rußland gefahren wurde, wochenlang, ohne zu wissen, wo die höllische Reise endet, den kann auf dieser Welt nichts mehr erschüttern.
    Igor Antonowitsch Pjetkin hatte sich in das Leben als Reisender durch Sibirien eingewöhnt. Die ersten Tage waren furchtbar gewesen. Sie fuhren der unerbittlichen Winterkälte entgegen, den eisigen Schneestürmen und den klirrenden Frostnächten, in denen alles Leben erstarrte. Nur die sechzig Männer in dem Viehwagen kämpften verbissen um ihr bißchen Leben, und wie in Pjetkins Wagen war es in allen anderen Tepluschkas des langen Zuges: Nur nicht erfrieren, nicht als Eisblock aus dem Zug geworfen werden, beim nächsten Halt, an der nächsten Station, beim nächsten Essenfassen. Nutzt jede Wärme aus, Genossen, kriecht zusammen, wärmt euch gegenseitig, rollt euch zu Knäueln, haltet die Wärme in euch … Leben ist nichts als Wärme, wißt ihr es jetzt? Früher dachtet ihr immer, essen und trinken sei das Wichtigste … welch ein Irrtum! Ein Grad Celsius … ein einziges Grad mehr als der Punkt, wo alles erstarrt – das ist Leben!
    So gut alles bei der Abfahrt in Chelinograd organisiert war, so völlig brach die Organisation bereits auf der Fahrt nach Semipalatinsk zusammen. Wie überall, wo politische und kriminelle Häftlinge zusammenleben mußten, übernahmen die Blatnyje die Herrschaft und drängten die Kontriks, die armen Schwachköpfe, die ihr Leben für eine politische Idee opferten, in die Rolle der Befehlsempfänger oder Geduldeten. In Pjetkins Wagen herrschte Kolka Iwanowitsch Rassimow, ein dreifacher Mörder. Er brüstete sich damit, daß er zwei Männer und eine Frau mit bloßen Händen

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