Heiß wie der Steppenwind
Fingern die Binden. Sie kam an den Zellstoff und las die wenigen Worte aus Jod.
»Welch eine Nachricht …«, stammelte sie. »O Gott, wenn du nicht wärst, Marko Borissowitsch.« Sie faltete den Zellstoff zusammen, schob ihn unter den Kittel und setzte sich an einen kleinen Tisch. Auf ein Stück Notizpapier schrieb sie an Igor, und es waren Worte, so uralt wie die Menschheit selbst. »Ich liebe Dich – Vergiß mich nicht – Warte auf mich – Sei stark – Einmal werden wir uns wiedersehen …« Dann schilderte sie in kurzen Worten ihren Alltag, wie sie wohnte, wie sie arbeitete, wer um sie war. Aber immer wieder zerbrachen die Sätze, und es waren dann nur drei Worte, die sie schrieb, aneinandergereiht, monoton und doch voll Gesang: Ich liebe dich … ich liebe dich … Ich liebe dich …
Den Brief rollte sie um Markos Hand und wickelte einen neuen Verband darum. »Wann kommst du wieder?« fragte sie dabei.
»In zwei Tagen. Bei jedem Fleischtransport werde ich jetzt dabeisein. Du mußt bei der Wache hinterlassen, daß ich zur Weiterbehandlung immer zu dir gebracht werde. Ich kann nicht jedesmal ohnmächtig dem widerlichen Skopeljeff um den Hals fallen.«
Eine Viertelstunde erzählte Marko noch vom Männerlager und Igor. Dann wurde es Zeit, ein Soldat kam ins Lazarett, um nach dem Genossen Godunow zu sehen. Skopeljeff hatte sich geweigert, noch einmal mit Godunow in Berührung zu kommen. »Ich trete ihm nicht mehr gegenüber!« schrie er, als der Transportleiter drohte, ohne Marko abzufahren. »Holt ihn euch selbst. Soll ich mir den Eiter an den Hals hängen? Da hört das Kollektiv auf! Vielleicht ist er schon tot und liegt steif in einer Kiste –«
»Behandelt ihn vorsorglich«, sagte Dunja zu dem Soldaten. »Der Genosse braucht Schonung. Ich habe ihm drei Injektionen gegeben – er ist im Augenblick außer Gefahr –«
Der Soldat faßte Marko vorsichtig unter und brachte ihn aus dem Lager. Skopeljeff stand am Fenster der Magazinbaracke, nur mit einem Hemd bekleidet, denn Ljuba lag vor ihm und maulte, einmal rund um die Manege sei kein befriedigender Ritt, beobachtete das Einsteigen des Zwerges in Wagen Nr. 1 und bekreuzigte sich schnell, als die Kolonne abfuhr. Er ahnte nicht, daß er den Genossen Godunow übermorgen wiedersehen würde.
V IERUNDDREISSIGSTES K APITEL
Der Plan Godunows erwies sich als genial. Jewronek war froh, wenn Marko mit den Fleischtransporten durch die Gegend schaukelte, Skopeljeff ertrug die Strafe Gottes mit Zerknitterung und heimlichem Zähneknirschen, die Verletzung der Hand wurde zu einem Problem, mit dem sich zwei Ärzte – nämlich Dr. Pjetkin im Männerlager und Dr. Sadowjewa im Frauenlager – beschäftigten, und da niemand ärztliche Anordnungen anzuzweifeln wagt, denn jeder kommt mal in die Lage, einen Arzt zu benötigen und was ist, wenn dieser dann sagt: »Aha. Sie sind es? Der Zweifler! Wie kann ich Ihnen helfen, wenn Sie doch nicht daran glauben?«, also, keiner verderbe es sich mit dem Arzt – fuhr Marko gelassen und sicher vor Nachforschungen hin und her und wurde der Briefträger zwischen Dunja und Igor. Er war die Brücke ihres Glücks, ihrer Stärke, ihrer Zuversicht, ihrer letzten Hoffnung. Auf das Verstecken der Post in den Verbänden konnte bald verzichtet werden … niemand kontrollierte Marko. Er war zu einer feststehenden Einrichtung geworden, an die sich die Wachen von beiden Lagern gewöhnten.
Jewronek drückte es so aus, als Skopeljeff sein Leid stöhnte: »Er ist ein geiler Mensch, Genosse. Anders ist es nicht zu erklären. Ein normaler Mensch legt sich auf ein Frauchen, wenn er kann … dieser widerliche Zwerg aber ist in das Autofahren verliebt. Pervers, Freundchen – aber harmlos. Gönnen wir ihm doch den Genuß, seine Hose im Rhythmus des Fahrens zu wetzen …«
Auch die Verteilung von Markos Schwundanteil am Fleisch klappte vorzüglich. Ein Pfündchen für Dunja, ein Pfündchen für Igor, und das jeden zweiten Tag … verlaßt euch darauf, Genossen, man kann dabei fett werden. Probleme warfen nur die Möglichkeiten auf, die Fleischstücke zu braten oder zu kochen, ohne daß es andere merkten oder hundert Menschen mit Wasser im Gaumen vor dem Fenster standen. Aber auch hier fand Marko eine ebenso einfache wie geistvolle Lösung. Er hackte das Fleisch mit einem Beilchen, mischte Zwiebeln, Salz, Pfeffer und ein paar Tröpfchen Öl darunter und servierte es als einen Klumpen Tatar.
»Daran wirst du auch stark werden wie ein Tiger, Söhnchen«,
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