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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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große Fotografieren stattfand, Marko Borissowitsch etwas besonders Gutes antun wollte.
    »Genosse, kommen Sie mit!« rief er, als die kleine Wagenkolonne angehalten und das Ausladen begonnen hatte. »Etwas völlig Unerklärbares ist geschehen … wir haben einen Fotografen im Lager. Mit Genehmigung des Innenministeriums. Er macht Bilder von allen, die ›ausgewählt‹ sind. Da Sie unter diese Kategorie fallen … schnell, schnell … ehe er die Apparaturen wieder abbaut … lassen Sie sich ablichten, Marko Borissowitsch.«
    »Soll ihm vielleicht die Linse platzen?« fragte Marko voll Eigenspott. »Wer bezahlt ihm den Verlust?«
    »Probieren wir es, Brüderchen. Ein Fotograf ist vieles gewöhnt.«
    Die Offiziere und Unteroffiziere waren sämtlich durchgeknipst, als Marko und Skopeljeff in der Lagerhalle erschienen. Skopeljeff, froh, den Zwerg abgeliefert zu haben, empfahl sich mit einigen Entschuldigungen. Die Fleischlieferung, Genosse, so etwas muß man überwachen …
    Marko setzte sich auf den Stuhl, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß. »Wieviel Fotos bekommt jeder Fotografierte?«
    »Einen Abzug. Das Fotopapier ist knapp, Genosse. Nachbestellungen erst in einem halben Jahr.«
    »Und wenn jemand zwei Abzüge verlangt?«
    »Unmöglich.«
    »Eine kleine Frage: Was ist seltener – ein Fotoabzug oder ein Pfund Fleisch?«
    »Es würde sich die Waage halten, Brüderchen.« Timbaski wurde nun hellhörig. Wer Fleisch anbietet, der hat noch mehr. Ein Fotograf ist ein umworbener Mensch, muß man wissen.
    »Dazu zwei Rubelchen.«
    »Zwei Pfund Fleisch sind besser.«
    Marko überlegte. Es war sein ganzes Kontingent, aber der Tausch lohnte sich. Es ist für Igor, dachte er. Ein Foto wird ihm mehr wert sein als zehn Pfund Braten. Verliebte ernähren sich mit den Augen.
    »Zwei Pfund, du Gauner«, sagte Marko und sprang vom Stuhl. »Für zwei Fotos der Ärztin Dunja Dimitrowna. Frage nicht … willst du das Fleisch? Ein Foto bekommt sie selbst – das steht ihr zu – das andere ich. Eingepackt in Schweigen, verstehst du? Wann sind sie fertig?«
    »Morgen mittag.« Timbaski starrte den Zwerg verwirrt an. Wie sich die Natur verirren kann, dachte er. Dieses schöne, blonde Mädchen, und eine Kröte liebt sie. Ein mieser, geiler Zwerg, der ihr Foto heimlich ins Bett nehmen wird. Welch eine Entweihung! Aber zwei Pfund saftiges Fleisch sind genug, diese Gedanken abzustoppen.
    Marko stand finster blickend neben der Kamera, kaute an der Unterlippe und suchte nach einem Ausweg. Der Fleischtransport fuhr nur alle zwei Tage zum Frauenlager, und eine andere Möglichkeit gab es für Marko nicht. »Übermorgen, um diese Zeit«, sagte er.
    »Da bin ich in Ust-Workuta. Bedaure, Genosse.«
    »Beim Satan, du bist hier und gibst mir das Foto.«
    »Ich habe einen festen Plan. Die Zentralstelle für kulturelle Fortschrittsarbeit hat eine Reiseroute entwickelt, an die ich mich zu halten habe. An jedem Ort muß ich mir einen amtlichen Stempel auf ein Papier drücken lassen. Zwei Tage Workuta Frauenlager, mehr nicht.«
    »Sie haben ein Auto, Genosse?«
    »Das erste Auto, das man hergestellt hat.« Timbaski seufzte. »Und dann diese Straßen, der Schneesturm, der Frost … es ist immer ein kleines Wunder, wenn ich am richtigen Ort ankomme.«
    »Dann schneien Sie hier ein, Genosse.« Marko nickte eifrig. »Das ist es. Heute nacht wird es wieder schneien, das ist sicher. Keiner kann Ihnen zumuten, daß Sie Ihr Auto durch die Schneeverwehungen drücken. Gehört es zur Aufgabe eines Fotografen, zu erfrieren? Na, sehen Sie … Ich komme übermorgen wieder und bringe Ihnen drei Pfund Fleisch mit. Dafür ein Foto in Postkartengröße.«
    »Sie verlangen Grandioses, Genosse.« Timbaski lehnte die Stirn gegen seine Kamera. »Aber drei Pfund Fleisch sind ebenso grandios … Ihr Rat ist gut – ich schneie ein …«
    Zufrieden verließ Marko die Halle. Man muß überzeugen können, dachte er stolz. Das ist das ganze Geheimnis, auch der Politiker: Unmögliches so zu sagen, daß es geglaubt und auch getan wird. Ein wenig Druck, ein Quentchen Korruption und viel Stärke in den Worten … das versetzt Berge, wo gar keine sind. Der Himmel half.
    Es schneite zwei Tage und zwei Nächte, Workuta ertrank im Schnee, die einzige Straße vom Ort zu den Lagern wurde durch Schneeräumer notdürftig befahrbar gehalten, alle Arbeitsfähigen im Lager standen in langen, grauen Reihen an der Straße und schaufelten gegen die weißen Berge an, die

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