Heiß wie der Steppenwind
ihn zum Haupttor, schrie den Posten an, der befahl zwei Soldaten der Wache herbei, und zu dritt trugen sie Marko ins Frauenlager und ins Lazarett. Die letzten Meter begann Marko wieder zu stöhnen, als stäke er auf einem Spieß, aber unter den halb geschlossenen Lidern betrachtete er seine Umwelt sehr genau und wartete darauf, Dunja zu begegnen. Man muß im Leben alles können, dachte er. Am wichtigsten ist eine schauspielerische Begabung.
Im Lazarett des Frauenlagers fand gerade die große Morgenuntersuchung, die Auskämmung der Krankmeldungen, statt. Sämtliche Ärzte waren im Einsatz … sogar Chefarzt Dobronin war beschäftigt, denn Dunja Dimitrowna hatte ihm einen Packen Röntgenbilder gegeben und um Stellungnahme gebeten. Das war neu … bisher hatte sich niemand um die Innereien der Strafgefangenen gekümmert, und nun tauchte dieses herrliche blonde Luder auf und führte Klinikmanieren ein. Anna Stepanowna, die dralle Ärztin und Dunjas neue Freundin, war zur Kontrolle in die Quarantänestation gegangen, der junge Dr. Andron Fjodorowitsch Kutjukow, der Dunja mit den Augen eines traurigen Hundes verliebt nachlief, saß auf einem Stuhl und hörte am Fließband Lungen und Brustkörbe ab … eine lange Reihe nackter Oberkörper, dicker und flacher Brüste, junger und alter, fester und hängender, Frauenleiber, dichtgedrängt, nach süßlichem Schweiß riechend, junge und morsche Weiblichkeit, die sich vor ihm drehte nach seinem Kommando, ein Anblick, der die letzte Lust nach Liebe tötete.
Im großen Saal scheuchten die kleine mongolische Ärztin, Dr. Iwan Iwanowitsch Semjew und eine dickliche, nur nach Alkoholgenuß gesprächige Ärztin die Kranken herum, und Semjew praktizierte seine Lieblingsmethode, die er beim Militär gelernt hatte: Er ließ die Frauen, nackt wie sie waren, sich nach vorn bücken und betrachtete sie dann von hinten. »Ein Blick ins Auge«, nannte er das, klatschte dann seine Hand auf das gespannte Hinterteil und brülle: »Gesund! Arbeitsfähig! Nur waschen sollte man's mal!«
Dr. Nikolai Michailowitsch Wyntok, der große Liebhaber, operierte im OP I einen durchgebrochenen Blinddarm. Seit der wilden Nacht im Zimmer der Stepanowna war er Dunja zwar nicht aus dem Weg gegangen, aber er hatte immerhin etwas Distanz gehalten. Nur wenn sie allein waren, und das geschah öfter durch Zufall auf dem Gang, in der Krankenhausapotheke, auf dem Appellplatz oder in den dienstfreien Stunden, grinste er sie an, rieb seine gewaltige Hakennase und sagte frivol: »Mein blondes Täubchen, vergewaltigen Sie sich nicht selbst! Wer einmal die Liebe genossen hat, kommt nicht mehr davon los. Es ist wie Rauschgift. Dem Süchtigen zucken die Nerven, dem Liebenden zuckt es zwischen den Schenkeln. Was wollen Sie dagegen tun? Es ist wie eine Krankheit, und Krankheiten – das wissen Sie als Ärztin so gut wie ich – muß man mit Medikamenten bekämpfen. Betrachten Sie mich als Ihr immer bereites Medikament. Ich bin stets zur Linderung Ihrer Qualen bereit.«
Dunja ließ ihn dann meistens stehen, ohne eine Antwort zu geben, nur, als er einmal rief: »Kollegin, brennen Sie noch nicht?« antwortete sie ebenso freimütig: »Es liegt Eis genug herum, Nikolai Michailowitsch …« Wyntok lachte dröhnend, blickte Dunja nach und schlug die Fäuste gegeneinander. »Welch ein Weibchen«, sagte er begeistert. »Man sollte sie einfangen wie ein Wildpferd!«
So lagen die Dinge, als Skopeljeff und die beiden Wachsoldaten den stöhnenden Marko ins Lazarett brachten. Dunja arbeitete im OP II und wechselte Verbände. Meist aufgeschnittene Furunkel, Verbrennungen oder Arbeitsverletzungen. Skopeljeff stürzte in das Zimmer, winkte mit beiden Armen, als Dunja ihn anschreien wollte und keuchte in größter Verzweiflung. »Genossin Doktor, ein Notfall! Ein wichtiger Mann vom Fleischtransport, eine Sepsis, wie er sagt, wurde schon behandelt im Männerlager, aber dort muß ein Idiot von Arzt sitzen. Ein Dr. Pjetkin …«
Dunja hörte den Namen Pjetkin und war zu allem bereit. Und als die Soldaten Marko hereintrugen, wußte sie, daß über Workuta ein blauer Himmel aufgegangen war. Sie beugte sich über den Zwerg, sah ihm kurz ins Gesicht und sagte ernst: »Tatsächlich, es ist kritisch. Sofort nebenan auf den Tisch! Und alles raus! Er ist im Augenblick sehr ansteckend.«
Skopeljeff prallte zurück und rannte aus dem OP. Die Soldaten folgten ihm. Ansteckung, Infektion … das ist für einen Russen ein Wort, das er mehr fürchtet als
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