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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Niemand, der in einem Arbeits-Besserungslager vegetiert, ist eine Persönlichkeit, die man fotografieren könnte. Was soll das überhaupt? Ist das ein so schönes Foto, hohlwangige, triefäugige, ausgezehrte Weiber festzuhalten? Für wen überhaupt? Für die Verwandten? Für die Nachwelt? Aber so ist das … da sitzt irgendwo in der Verwaltung in Moskau ein Beamter, dem schwillt der Arsch vor lauter Sitzen, seine Augen tränen vor Langeweile, und weil man etwas tun muß für seine Rubelchen, sinnt er sich etwas aus, irgend etwas, wie dieses Fotografieren, und reibt sich die Hände über diese Idee: Alle Lager haben die Gelegenheit zu schaffen, daß auserwählte Personen – Das ›auserwählt‹ war dabei die Schikane. Auch Chefarzt Dobronin, der mit dem Lagerleiter zwei Stunden sinnierte, kam zu dem Entschluß: Zunächst sind meine Ärzte auserwählte Personen. Dann die Genossen Offiziere, die Natschalniks, die Genossinnen ›Kommandierten‹, worunter auch Wjera Sachonowa, die Leiterin der Wäscherei, gehörte, zum Schluß die prominenten Häftlinge, wie die Professorin für Mathematik aus Kiew, die Biologin aus Nowgorod, die Atomwissenschaftlerin aus Ulan Ude und drei Schriftstellerinnen, denen man die Wahl gelassen hatte: entweder verrückt und in eine Anstalt oder Workuta. Alle drei hatten Workuta gewählt.
    Der Fotograf kümmerte sich einen Deut um die internen Auseinandersetzungen der Lagerleitung. Er baute seine Apparatur in der Magazinhalle auf. Skopeljeff strich um ihn herum, ließ einen Stuhl kommen und schüttelte den Kopf, als der Fotograf eine weiße Leinwand aufspannte.
    »Ein anständiger Hintergrund ist wichtig«, sagte der Mann aus Moskau. »Ihre Halle, Genosse, ist ein Dreckstall.«
    Skopeljeff verkniff sich eine Antwort, freute sich, daß er Bohnen gegessen hatte, ließ einen krachenden Wind fahren und verließ die Halle.
    »Barbar!« schrie der Fotograf. Er baute zwei Scheinwerfer auf, verstellte das Stativ, blickte auf die Mattscheibe seines Fotoapparates und setzte sich auf den Stuhl vor das Leinentuch. Sie können kommen, aber auch hier wird es sein wie in jedem Lager: Die Auswahl der für ein Foto Ausgezeichneten ist schwer.
    Chefarzt Dobronin schickte zunächst seinen Oberarzt Wyntok, die Lage auszukundschaften. Nikolai Michailowitsch – wir wissen, ein ständig fröhlicher und schweinischer Mensch – umkreiste den Fotografen, betrachtete die Apparatur und stellte sich dann vor die Leinwand.
    »Fangen Sie an, Genosse«, sagte er. »Ich bin Dr. Wyntok. Für mein Gesicht interessiert sich niemand. Es hat auch nie eine Rolle gespielt. Mein fotogenster Körperteil ist mein Unterleib. Hoffentlich haben Sie eine Bildplatte, die groß genug ist. Und fünfzig Abzüge, mindestens. Ich werde die Fotos verteilen wie Medaillen –«
    Er lachte dröhnend, aber er trieb es nicht so weit, daß er seine Hose fallen ließ. Der Fotograf schenkte ihm keinen Blick, löschte wieder die Scheinwerfer und starrte gegen die Decke der Halle.
    Dr. Wyntok verließ das improvisierte Atelier und berichtete Chefarzt Dobronin: »Ein humorloser Knabe. Aber sonst ist alles in Ordnung. Ein Profi, gut ausgerüstet – einer jener Scherze, die Moskau auf uns abfeuert. Machen wir mit. Er verlangt für ein Foto fünfzig Kopeken … das ist halsabschneiderisch, aber der Bursche kennt genau seinen Seltenheitswert.«
    Eine halbe Stunde später arbeitete der Fotograf, daß ihm der Schweiß in den Kragen tropfte.
    Zunächst alle Ärzte einzeln, dann Gruppenaufnahmen von den Männern, von den Frauen. Zuletzt gemischt, wobei Wyntok seine Hände auf die Brüste von Anna Stepanowna legte. »Sonst glaubt mir keiner, daß ich's bin!« rief er dabei.
    Die zweite Gruppe bildeten die Offiziere und Unteroffiziere. Sie marschierten in die Halle wie zum Manöver, standen in strammer Haltung vor der Leinwand und zogen ein ernstes oder ein grinsendes Gesicht. Der Fotograf – er hieß übrigens Timbaski – bemühte sich, die Soldaten etwas aufzulockern.
    »Fotografiere ich Denkmäler?« stöhnte er. »Natürliche Haltung, Genossen. Locker, locker … man sehe sich das bloß an. Habt ihr einen Stock gefressen?«
    Es stellte sich heraus, daß niemand sich etwas darunter vorstellen konnte. Was heißt locker, locker? Sollen die Arme baumeln wie Leberwürste? Dann schon lieber Haltung – das ist Ausdruck von Disziplin.
    Es ergab sich, daß gerade auch an diesem Tag ein Fleischtransport vom Männerlager eintraf und Skopeljeff, in dessem Lagerhaus das

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