Heiß wie der Steppenwind
wurden zur Hölle der Sehnsüchte. Die ausgesperrte Liebe wuchs ins Gigantische. Seit Jahren kursierten kunstvoll geschnitzte, aus glattem Eschenholz geformte künstliche männliche Glieder, Wunderwerke anatomischer Genauigkeit, mit verzehrender Liebe ausgearbeitet bis ins kleinste Detail.
Marko war unglücklich. Bei der Anfahrt hatte er das Steingebäude des Krankenhauses gesehen – nun standen dazwischen die Holzwand, Stacheldraht, der Todesstreifen, die Maschinengewehre auf den Wachtürmen, die Alarmanlagen. Dafür begrüßte ihn der Magazinverwalter, der für den Fleischeinkauf verantwortlich war, wie einen alten Freund. Der Warnruf Jewroneks hatte ihn munter gemacht.
»Ich bin Wassilij Konstantinowitsch Skopeljeff, Genosse!« rief er, als Marko aus dem hohen Wagen kletterte. »Halt! Bleiben Sie oben. Sie sind blessiert, Genosse! Ich helfe Ihnen. Nur keine Anstrengung. Ich hebe Sie auf die Erde.« Und tatsächlich griff Skopeljeff zu, schnappte sich Marko und trug ihn vom Wagen ein paar Schritte weg, ehe er ihn in den Schnee stellte. Man sieht daraus, daß er ein starker Mann war, gut genährt, immer bei Kräften und froher Laune.
»Jewronek hat angerufen, nicht wahr?« fragte Marko. Skopeljeff gab es zu, denn so begrüßt man ja keinen Unbekannten, im Gegenteil, was da zum Ausladen mitfährt, sind Gefangene, und die tritt man in den Hintern, wenn man sie überhaupt wahrnimmt. »Was hat er gesagt?«
Das war wieder so eine Frage, die jeder haßte. Was soll man darauf antworten? Was will der andere hören? Auf keinen Fall die Wahrheit, denn die ist am unerträglichsten. Skopeljeff machte es wie jeder an seiner Stelle – er grinste erst einmal. Dann zwinkerte er mit den Augen, blickte sich nach allen Seiten um und fragte zurück. »Ein blondes Täubchen habe ich hier. Kräftig, Schenkel wie Schnee und Brüste wie Zuckerbirnen. Ihr Vater war Kosak, haha! Sie arbeitet in der Registratur, ist daher gut genährt und gepflegt. Vierundzwanzig Jahre alt, Genosse Godunow. Ich habe ihr ein Huhn versprochen. Wenn Sie die süße Jewsja einmal ansehen wollen –«
Marko überdachte die Situation. Von der Nützlichkeit abgesehen, das Angebot Skopeljeffs anzunehmen, was sicherlich sehr unterhaltend gewesen wäre und seinem Kreislauf gutgetan hätte, kam er dadurch kein Stückchen weiter ins Lager hinein. Die Zeit zerfloß nur im Liebesschweiß, man mußte ausgeleert und mit schmerzendem Rücken zurück zum Wagen und trug alles wieder ins Hauptlager: Das Fleisch, die Grüße, den Brief Igors auf dem Verbandstoff, die Brücke der Liebe und Hoffnung. Skopeljeff zuckte zusammen, als Marko sich plötzlich krümmte, gegen die Barackenwand taumelte, den verletzten Arm an sich drückte und schauerlich mit verdrehten Augen stöhnte.
»Was ist mit Ihnen, Genosse?« stammelte Skopeljeff und sprang vor, um Marko zu stützen. Der röchelte auf, drückte die gesunde Hand auf den verbundenen Arm und klapperte mit den Zähnen wie ein Storch, wenn er einen Frosch sieht.
»Meine Hand«, ächzte Marko. »O Gott, meine Hand. Sie brennt und zuckt und löst sich auf. Bestimmt löst sie sich auf. Habe ich es nicht immer gesagt … es ist eine Sepsis! Nun werde ich sterben … lebt wohl, alle, ihr braven Genossen … behaltet mich in guter Erinnerung … und wenn ich eingesargt bin, schreibt an meinen Vetter, den ehrenwerten Fjedor Lubitsch Awnorenkarenko in Nowo Bladonowskoje. Schildert ihm meinen Tod … o Himmel, o all ihr Heiligen, mir fällt die Hand vom Knöchel …«
Skopeljeff raufte sich die Haare, dachte an die Schreibereien, Berichte und Verhöre, wenn ein so wichtiger Mann wie dieser Godunow in seinen Armen verreckte, und dann der letzte Wille, dieser Brief an den fernen Awnore … der Teufel behalte diesen Namen … alles das war eine ungeheure Belastung, denn ein Unglück ist wie ein Schwamm, das weitere Unglücke aufsaugt.
»Was … was sagte denn der Arzt, der Sie verbunden hat, Genosse?« stotterte Skopeljeff. Er umarmte Marko wie ein Kind und hielt den leise Wimmernden aufrecht.
»Der Arzt! Ein Nichtskönner! Fachmann für Bäuche und Därme … aber von Händen hat er keine Ahnung! Ich war bei Dr. Pjetkin, der guckt die Hand an, wickelt ein Tuch mit Salbe drum und diesen Verband. Ist das eine Behandlung, na? O nein, nein … es ist alles vorbei. Nun sterbe ich. Eine Sepsis … wissen Sie, was eine Sepsis ist?«
Skopeljeff hatte davon gehört, ganz vage, und nun ergriff ihn panische Angst. Er faßte Marko unter, schleifte
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