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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ununterbrochen lautlos vom Himmel schwebten.
    Timbaski benötigte keine Tricks, um im Frauenlager zu bleiben. Vom Kommandanten ließ er sich bescheinigen, daß ein Wegfahren unmöglich sei und allein der Versuch einer Vernichtung von Volkseigentum, nämlich des Wagens und aller Apparate, gleichkomme.
    Am zweiten Tag erschien Marko wieder mit den Fleischwagen. In der Tasche trug er einen Brief für Dunja, in einem umgehängten Sack drei Pfund Bratenfleisch. Jewronek hatte nicht gezögert, als Godunow diese Menge forderte. Timbaski begutachtete erst das Fleisch, drückte es, roch daran und schabte ein wenig mit dem Messer ab.
    »Ich verkaufe dir keine rotgefärbte Scheiße«, sagte Marko mißmutig. »Das ist vom besten Stück des Hinterviertels.«
    »Vorzüglich.« Timbaski schluckte es hinunter. »Der Mensch muß in der heutigen Zeit kritisch sein. Es wird soviel betrogen, daß ein normales Geschäft fast pervers ist.« Er lachte, griff in eine Mappe und holte das vergrößerte Foto Dunjas heraus. Eine Postkarte, etwas gebogen von der Trockenhitze … er nahm sie, rollte sie über die Tischkante ab und zog sie damit wieder gerade. Marko beobachtete ihn mit verdunkeltem Blick.
    »Wenn du das Bild zerstörst«, knurrte er dunkel, »erkennt dich selbst dein Mütterchen nicht mehr wieder.«
    »Da ist es! Ein Meisterwerk! Sagen Sie selbst, Genosse … das ist wert für eine Ausstellung im Moskauer Museum für zeitgemäße Kunst. Welch ein Kopf. Welche Abschattierungen. Diese zarten Zwischentöne … Ein Engel!«
    Marko riß ihm das Foto aus der Hand und starrte es an. Es war nicht übertrieben, was Timbaski von sich gab … Dunja sah wirklich wie ein Engel aus. Ihr blondes Haar leuchtete im Scheinwerferlicht, ihre Augen lebten förmlich, ihr Mund lockte, die Haut schimmerte, als leuchte sie von innen heraus. Sie war so lebendig, daß Marko erschrak.
    »Na?« Timbaski schabte sich wieder etwas vom Fleisch ab und schob es in den Mund. Es war so zart, daß man es roh essen konnte. »Das verschlägt Ihnen die Sprache, Genosse! Wie werden Sie bloß die Nächte durchstehen? Dunja Dimitrowna selbst hat mich gelobt … sie wollte auch noch einen Abzug mehr haben, aber leider hatte sie kein Fleisch anzubieten.«
    Es war ein Tag, an dem für Marko die Sonne schien, auch wenn es trübe schneite. Er ließ sich wieder bei Dunja melden, mit seiner blutvergifteten Hand war er im Krankenhaus schon bekannt, man schob ihn in den septischen Behandlungsraum, und Dr. Wyntok blickte kurz herein, denn er wollte schon immer diese ›Mißgeburt‹ sehen, wie er Marko nach Beschreibungen der Kollegen nannte.
    Nach einer halben Stunde erst kam Dunja. Sie wirkte müde, an ihrem weißen Kittel, unten am Saum, klebten noch Blutspritzer. Sie hatte operiert, eine Zyste, und Chefarzt Dr. Dobronin hatte am Ende der Operation gesagt: »Wenn Sie so weitermachen, Dunja Dimitrowna, benennen wir Workuta um in ›Sanatorium Nord‹. Hier werden Verbrecherinnen wesentlich besser behandelt als ehrbare Genossinnen in jeder russischen Stadt.«
    »Marko –«, sagte sie und setzte sich müde auf den OP-Tisch. »Wie geht es Igorenka?«
    »Er deklamiert nachts deine Worte.«
    Das war eine Lüge, aber sollte Marko sagen: Er muß sich jede zweite Nacht mit der Dussowa herumschlagen? Noch wußte Dunja nicht, daß es Marianka überhaupt im Männerlager gab … die Nachrichten, die von Lager zu Lager auf vielen geheimnisvollen Kanälen hin und her wanderten, beschäftigten sich mit anderen Dingen. Außerdem waren es Nachrichten für Sträflinge, nicht für Ärzte und Wachpersonal. Persönliche Meldungen wurden ausgetauscht, Grüße bestellt, Neuankömmlinge berichteten von Bekannten in anderen Lagern, Frauen erfuhren, wo ihre Männer jetzt lebten, und Männer hörten nach Monaten zum erstenmal von ihren Frauen, den Kindern, den Eltern, ihrem Heimatdorf. Workuta lag am Ende der Welt, aber die Welt sickerte zu ihm durch.
    »Ich habe einen Brief für ihn«, sagte Dunja. Sie griff zwischen ihre Brüste, das beste Versteck, wenn man vom Zwischenraum der Schenkel absieht, aber dort hindert es beim Gehen.
    »Auch ich habe einen.« Marko gab ihn ihr, sie riß das Kuvert auf, überflog die Zeilen und weinte vor Freude. »Wir sind fotografiert worden«, sagte sie darauf. »Leider gab es nur ein Bild. Ich wollte Igorenka eins zu Weihnachten schenken, aber der Fotograf blieb hart. Mein eigenes Bild kann ich nicht schicken … Dobronin verlangt, daß es jeder mit sich herumträgt in

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