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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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silberne Armbanduhr mit einem Lederband. Die Bescherung fand in ihrem Zimmer statt, nachdem alle Stationen im Krankenhaus in der Art einer Chefvisite durchgegangen worden waren. Überall, wo die Dussowa kontrolliert hatte, atmete man auf und holte die geschmückten Zweige aus den Verstecken. Weihnachten konnte beginnen. Verschiedene Stationen schickten noch Späher aus, um auch ganz sicher zu sein. Das Unwahrscheinliche geschah: Die Ärzte verließen geschlossen das Haus und gingen aus dem Lager hinaus zur Kommandantur, wo der Oberst eine kleine Feier gab. Nur die Dussowa und Pjetkin blieben noch zurück. Das war beruhigend, denn Pjetkin war der einzige, der von Tannenzweigen in den Krankenzimmern wußte. So kamen auch die Kranken zu ihrer Heiligen Nacht, lagen in den Betten, saßen auf der Kante oder hockten auf den Fensterbänken. Zu aller Verblüffung ging ein Mann von Zimmer zu Zimmer, gestützt auf zwei andere Kranke, denn er hatte den linken Fuß amputiert bekommen, im Steinbruch wurde er ihm abgequetscht vom nachrollenden Gestein, und dieser dürre, ausgezehrte, armselige, kraftlose Mensch mit seinem Beinstumpf erschien in jeder Tür, verkündete die Geburt Christi und segnete alle. Ein Pope … am Fest der Liebe gab er sich zu erkennen.
    In ihrem Zimmer hatte die Dussowa die Geschenke aufgebaut. Pjetkin hatte für sie nichts … er kehrte die leeren Handflächen nach oben und sagte bitter:
    »Das ist alles, Marianka, was ich dir bieten kann.«
    »Du bist da … und jede Nacht ist für mich eine heilige. Komm her, Igoruschka, sieh dir die Geschenke an. Komm her! Ich habe in Moskau meine ganzen Beziehungen mobilisiert, um es heranzuschaffen.«
    Sie zog ihn zu dem geschmückten Tisch, sie benahm sich wie ein junges Mädchen, übermütig und in der Freude überdreht, hielt ihm den Schlafanzug an, zwang ihn unter Küssen, seine Schuhe auszuziehen und in die gestickten Pantoffeln zu schlüpfen. Er mußte die Uhr umlegen und sagen, wie sie tickte, dann rannte sie nebenan in eine Art Kleiderkammer, holte ein Tablett mit kaltem Braten, Demidow-Salat, Zwiebelkartoffeln und einer Bauern-Grießtorte, entkorkte eine Flasche grusinischen Wein und ließ sich glücklich in ihren Korbsessel fallen.
    »Freust du dich, Igorenka?« fragte sie. Ihr Gesicht glänzte.
    »Ich bin hilflos vor diesen Überraschungen.«
    »Komm her, mein Liebling … iß, trink, nimm dir alles … es gehört dir allein … Komm her. Küß mich!« Sie strampelte mit den Beinen, umarmte seinen Nacken, riß ihn zu sich hinunter, hing sich an ihn und empfand seine Küsse, so oberflächlich sie waren, wie glühende Feuerstöße.
    »Noch nie war ein Tag so schön«, sagte sie später, als sie aßen und tranken und Igor die Schlafanzugjacke übergezogen hatte, weil sie es so wollte. »Ich habe in meinem Leben nie einen Menschen gehabt, den ich beschenken konnte. Der sich freute, wenn ich ihm etwas gab, der von mir Gutes erwartete. Nie, mein Liebling. Was ist das für ein Leben, niemanden zu haben, unter Millionen allein zu sein? Jetzt beginne ich zu leben.«
    Pjetkin nickte verwirrt und betreten. Er ließ die Liebe Mariankas über sich rauschen wie ein Wasserfall, aber während sie ihn herzte und küßte, dachte er an Marko und an seine stereotype Antwort. »Nein. Kein Brief von Dunja. Ich habe sie nicht treffen können. Sie operierte.« Und als er wütend wurde, zog Marko ein schrecklich unglückliches Gesicht und erklärte: »Ich habe im Frauenlager nur einen Aufenthalt von einer Stunde. Glaubst du, die Fahrer warten meinetwegen im Schnee? Sollten wir nicht glücklich sein, überhaupt diesen Trick gefunden zu haben?«
    Pjetkin gab ihm recht, umarmte ihn und sagte: »Ich bin nervös, Marko. Die Unruhe frißt mich auf. Ist es möglich, daß man Dunja versetzt hat? Du mußt es herausbekommen, sonst setzt mein Herz aus.«
    Nun war Weihnachten, und Dunja blieb verschwunden hinter den hölzernen Palisaden des Lagers. Die Sorge zerrte an Igor wie ein Ochse am Pflug, und wie eine Pflugschar zerschnitt der Kummer auch sein Herz.
    »Wir müssen zum Oberst«, sagte er, als Marianka begann, ihn mit flinken Fingern auszuziehen. Er sprang auf, streifte die Schlafanzugjacke ab und wühlte sich in die dicke Steppjacke, die Marianka schon vor Wochen gegen die dürftige Fofaika eingetauscht hatte, die er damals von der Kleiderkammer erhalten hatte. »Er hat uns eingeladen. Wir dürfen ihn nicht beleidigen.«
    Die Feier in der Kommandantur dauerte bis tief in die Nacht.

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