Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Irrtum. Igor, sagte ich zu mir, sie ist es nicht. So erbärmlich kann kein Engel handeln. Und als einen Engel hatte ich Sie in Erinnerung …«
    Das Mädchen senkte den Kopf. Angriffslust und Abwehr lag in dem Blick seiner etwas schrägen Augen. »Ich werfe Sie wieder in den Amur, wenn Sie von neuem beginnen!« sagte es gefährlich leise. »Ich dachte, Sie hätten sich genug abgekühlt.«
    »Ich bin aufgeweicht wie ein vergessener Mehlkloß …« Igor Antonowitsch blieb auf den Planken liegen und zog sein nasses Hemd aus. Er stopfte es neben den abgerissenen Ärmel des Kleides in das Leck und begann dann, mit beiden Händen das eingedrungene Wasser hinauszuschöpfen. »Haben Sie Mitleid mit mir. Seit Jahren suche ich Sie …«
    »Verrückt sind Sie! Total verrückt!«
    »Erinnern Sie sich an Kischinew?« Igor kniete im Wasser und strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht. Das Mädchen starrte ihn böse an. »An die Universität? Zu Besuch bei einer Tante waren Sie, hörten als Gast einige Vorlesungen bei uns und verschwanden dann spurlos. Einmal fielen Ihnen die Bücher aus den Händen, und ich hob sie auf. ›Danke!‹ sagten Sie kurz und liefen weg.«
    »Das waren Sie?« Ihre vollen Lippen lächelten zaghaft. »Ich erinnere mich jetzt.«
    »Von dieser Minute an habe ich Sie gesucht. Gezeichnet habe ich Sie und Ihr Bild überall herumgezeigt. ›Wer hat sie gesehen?‹ habe ich tausendmal gefragt. ›Wer kann mir einen Hinweis geben? Wer kennt sie?‹ Geprügelt habe ich mich mit anderen, die mich verspotteten, und einen hätte ich fast totgeschlagen, weil er Sie beleidigte.«
    »Er kannte mich bestimmt nicht! Nur eine einzige Woche war ich in Kischinew, und ich habe mich nie um einen Mann gekümmert.« Das Mädchen beugte sich vor und fragte: »Was sagte er von mir?«
    »Er nannte Sie eine Burjatenhure … andere hielten mich fest, sonst hätte sein Schädel an der Wand geklebt.«
    Das Mädchen war rot geworden und blickte über den riesigen, in der Sonne goldenen Fluß. Am Ufer, zwischen den Holzstapeln bewegte sich plötzlich etwas. Ein Fetzen Stoff wurde geschwenkt, hin und her, wie ein Signal.
    »Ich danke Ihnen«, sagte das Mädchen, ohne Igor anzublicken. »Ich habe Sie ins Wasser gestoßen … verzeihen Sie es mir.«
    »Ich habe es sogar schon vergessen. Jede Welle des Amur könnte ich umarmen, weil ich Sie endlich gefunden habe.« Igor schöpfte weiter das Wasser aus dem Boot. Dann suchte er auf der Wasserfläche das Ruder und entdeckte es weit entfernt. »Wer sind Sie?«
    »Dunja Dimitrowna Sadowjewa, Doktor der Medizin …«, sagte sie und ließ die Hände ins Wasser hängen. »Und Sie?«
    »Igor Antonowitsch Pjetkin, Doktor der Medizin …«
    Sie lachten und sahen sich zum erstenmal richtig an. Als ihre Blicke zusammentrafen, war es wie eine Explosion. Ein heißer Schmerz durchzog sie von den Zehen bis zu den Haarwurzeln, und ihre Herzen begannen, schweres heißes Blut zu pumpen.
    Wie stark er ist, dachte Dunja. Durch die Haut spannen sich die Muskeln, und wenn er lacht, tanzen Punkte in seinen Augen.
    Eine Madonna, dachte Igor. Hab' ich es nicht immer gesagt … sie ist aus dem Himmel heruntergestiegen, ein Engel, anders kann es gar nicht sein. Er schwärmte wie ein Jüngling und fuhr erschrocken zusammen, als Dunja nüchtern sagte:
    »Da drüben am Ufer winkt jemand mit einem Fetzen Stoff.«
    »Das ist Godunow.«
    »Ach Gott, der große Zar?« Dunjas Gesicht verdunkelte sich sofort. »Warum müssen Sie mich immer wieder ärgern, Igor Antonowitsch?«
    »Es ist wirklich Godunow. Marko Borissowitsch … mein Begleiter. Ein ehemaliger Anatomiediener aus Kischinew. Er ist wie ein Hund … wo ich bin, ist auch er. Er würde vor meinen Füßen schlafen, wenn es Sinn hätte. Sie werden ihn gleich kennenlernen. Erschrecken Sie nicht, Dunja. Er ist nicht nur ein Zwerg … er ist das Häßlichste, was die Natur je erschaffen hat.« Er beugte sich über den Rand des Kahns und schüttelte den Kopf. »Das Ruder holen wir nie ein. Versuchen wir es mit den Händen.«
    »Also … los! Drücken – eintauchen – drücken – tauchen – drücken – tauchen … Eins – zwei – eins – zwei …« Igor hob den Kopf und lachte Dunja an. Seine Zähne blitzten. »Merken Sie, Dunja, wir bewegen uns? Halten Sie jetzt still, ich drehe das Boot zum Ufer, und dann weiter im Takt … Achtung … so ist es gut … Und jetzt wieder wie bisher … eins – zwei – eins – zwei …«
    Langsam glitt das Boot über den Amur

Weitere Kostenlose Bücher