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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stunden lang besichtigten sie Issakowa und seine verfallenden Schönheiten. Marko begleitete sie nicht … er ließ sich von Anna in der Scheune die Plätze zeigen, wo sie übernachten sollten. Es war eine ehemalige Futterkammer, die Marko ausfegte und mit zwei Strohschütten wohnlich einrichtete. Dann setzte er sich in die Sonne, steckte die Pfeife wieder an und ließ sich von den Kindern bestaunen.
    Am Abend hielt Dunja in Issakowa Praxis. Neun Patienten warteten draußen auf dem Flur und kamen schüchtern herein, grüßten voll Ehrfurcht und erzählten von ihren Krankheiten. Alle kannten Dunja noch als Kind. Einen Arzt gab es damals nicht im weiten Umkreis, und Sadowjew verfluchte sein Schicksal, gerade am Amur zu leben. Das alles lag nun weit zurück … Dunja war eine Ärztin geworden, man zog sich vor ihr aus, zeigte die schmerzenden Stellen und war gespannt, ob sie wirklich heilen konnte.
    Väterchen Sadowjew regelte unterdessen den Patientenverkehr. Er stand im Flur und bestimmte, wer zuerst dran kam. Nicht der Reihe nach ging es, wie üblich, sondern nach dem Grad der Beschwerden.
    »Wassja zuerst!« sagte Sadowjew etwa. »Er ist ganz bleich und man sieht nur noch das Weiße seiner Augen.«
    »Ein Halunke ist er!« schrie jemand aus der dritten Reihe. »Er hat sein Gesicht mit Mehl bestäubt. Nimm mich zuerst, Dimitri Ferapontowitsch – an der Blase hab ich's, läuft mir so weg das Wasser, nicht zu halten ist's … wenn ich nicht dein Haus verseuchen soll, nimm mich zuerst.«
    Drei Stunden lang untersuchte Dunja die Kranken. Sie tat es gewissenhaft, wie Igor feststellte. Er saß abseits an der Wand und untersuchte im stillen mit. Dunjas Diagnosen trafen genau, nur die Therapie war anders, als man auf den Universitäten gelernt hatte.
    Nach dem Abendessen führte die Familie Sadowjew geschlossen ihre Gäste zur Scheune.
    »Eine große Freude war uns Ihr Besuch, Genosse Arzt«, sagte Sadowjew. »Schlafen Sie gut. Morgen früh um sieben wecke ich Sie.«
    Anna, das Mütterchen, gab Igor die Hand und nickte ihm stumm zu. In ihren Augen lag eine unausgesprochene Frage, ein mütterliches Forschen.
    Dann standen sie sich gegenüber, unter den wachsamen Augen des alten Sadowjew, drückten sich die Hand und lächelten sich zu.
    »Gute Nacht, Dunja«, sagte Igor mit schwerer Zunge. »Gute Nacht, Igor Antonowitsch. Wenn Sie Zeit haben, besuchen Sie uns wieder.«
    Das war mehr, als Sadowjew wollte. Er schwenkte die Petroleumlampe, stellte sie auf die Erde und unterbrach so den Händedruck zwischen Igor und Dunja.
    »Die Nacht ist kurz«, brummte er. »Und wenn es irgendwo raschelt, ängstigen Sie sich nicht, Genosse. Es sind Mäuse oder harmlose Schlangen, die Wärme suchen. Laßt es euch gutgehen.« Er drängte Anna und Dunja aus der Futterkammer und warf die Tür zu.
    Marko hockte auf seinem Strohbett. Aus ihren Mänteln knetete er eine lange Rolle. Ein gemeinsames Kopfkissen. Igor stand vor der geschlossenen Tür, mit hängenden Armen, als habe man ihn eingesperrt.
    »Was ist?« fragte Marko und legte sich lang. »Wird sie unsere Hausfrau?«
    »Ich liebe sie«, sagte Igor leise. »Oh verdammt, ich liebe sie wie ein Wahnsinniger seine irre Welt. Aber sie weiß es nicht, und sie spürt es auch nicht.«
    »Warten wir es ab.« Marko gähnte.
    Er blies die Lampe aus, und Igor legte sich neben ihn ins Stroh.
    Ganz anders war es bei Dunja und ihren Eltern, als sie zurück zum Haus gingen. Der alte Sadowjew hatte Mühe, mit seinen krummen Beinen der Tochter zu folgen, aber als er sie eingeholt hatte, hielt er sie am Ärmel fest.
    »Liebst du ihn?« fragte er direkt. »Los, sag es frei heraus!«
    »Ich weiß es nicht, Väterchen«, antwortete Dunja und lief weiter.
    »Ein kluges Wort!« rief Sadowjew und raufte sich die wenigen Haare. »Ein verteufeltes Wort! Bei den Weibern heißt so etwas ja.«
    Dann riß er an seinem langen dünnen Schnurrbart, blickte Anna, sein Weib, wütend an und knurrte: »Kann man das verhindern?«
    Anna lächelte gütig vor sich hin. »Wer hat die Liebe zwischen dir und mir verhindert?« fragte sie zurück. »Na, Alterchen, war das möglich?«
    »Du hast recht, Annuschka.« Sadowjew zog die Bartspitzen zwischen seinen Zähnen durch. »Aber alles kommt so plötzlich wie ein Sommergewitter …«
    *
    Am Morgen fuhren Igor, Godunow und Sadowjew zurück nach Blagowjeschtschensk. Glitzernder Tau hing in den Gräsern, der Fluß roch nach süßlicher Verwesung. Zwei riesige Adler kreisten über der Straße.

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