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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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er den ersten Schock beim Anblick Markos überwunden hatte. »Ein ganzes Team erscheint. Chirurg mit eigenem Leichenwärter … verflucht, der Teufel hat sogar Humor!«
    Sie bekamen ihre Papiere, Einweisungen, Ausweise, Identitätskarten eigens für Sibirien und das Amur-Gebiet, mußten sich gegen Sumpffieber, Typhus, Cholera und Pest impfen lassen und fuhren dann mit einem Materialzug den Amur entlang nach Blagowjeschtschensk.
    Es war eine langweilige Fahrt … nur der breite, silbern leuchtende herrliche Fluß entschädigte sie. Inseln lagen in seinem trägen Wasser; auf der chinesischen Seite zogen breite Dschunken am Ufer entlang, ihre ausgerissenen Segel glänzten gegen den Himmel wie riesige Fledermäuse.
    In der zweiten Nacht verschliefen Igor und Marko ihre Ankunft in Blagowjeschtschensk. Man weckte sie nicht, denn niemand wußte, wohin sie wollten, koppelte den Wagen ab, rangierte ihn um und hängte ihn an die Kleinbahn mit Breitspur, die zweimal in der Woche Material nach Issakowa brachte und von dort Felle und Schnittholz mitnahm.
    Igor erwachte, weil neben ihm eine Herde Kühe dumpf und durchdringend brüllte und mit den Schädeln gegen den Waggon bumste. Er schrak hoch, rüttelte Marko aus dem Schlaf und schob die Tür zur Seite.
    Vor ihnen lagen ebenes Land, ein großer Schuppen, dahinter die dunkelgrüne Wand der Wälder. Ein paar Menschen hockten auf Kisten im harten, gelben Gras, spielten Schach und rauchten. Irgendwo ratterte ein Gatter und fraß knirschend die Stämme in sich hinein. Die Sonne glänzte wie Messing.
    Igor sprang aus dem Waggon und sah sich um. Auf der anderen Seite lag wieder der Amur, flach wie eine Scheibe, mit kaum sich kräuselnden Wellen … ein Strom aus flüssigem Gold. Ein einzelner Punkt stach auf ihm ab … weit draußen, korngroß, ein Boot, das sich unmerklich bewegte.
    »Gleich um die Ecke beginnt das Paradies«, sagte Marko. Er war kurz auf Erkundung ausgegangen, hatte die schachspielenden Männer belästigt und erfahren, wo man gelandet war. »Sogar ein Dorf soll es hier geben. Issakowa. Man sollte es sich ansehen … vielleicht wohnen hier die ersten Menschen.«
    »Wir haben unsere Station verschlafen.« Igor ging hinunter zum Fluß, zog sich bis auf die kurze Unterhose aus, wusch sich und schwamm ein wenig herum. Marko blieb am Ufer hocken und suchte auf einer Karte, die er in Chabarowsk gekauft hatte, wohin ihr Schlaf sie verschlagen hatte.
    »Ein Fliegenschiß!« murmelte Marko. »Ein richtiger Fliegenschiß!«
    Igor kletterte aus dem Fluß und lief ein paarmal hin und her. Die Männer am Schachbrett kümmerten sich nicht um sie … im engen Kreis hockten sie auf ihren Kisten und starrten auf das Spiel.
    Einem Drang folgend – er konnte später nie erklären, wie es dazu kam – band Igor ein kleines Boot von einem Steg, sprang hinein, tauchte die Ruder ins Wasser und ließ sich hinaus auf den Amur treiben.
    Marko lief wie ein Hündchen am Ufer hin und her, warf die Arme hoch und schrie: »Lassen Sie den Blödsinn! Sie kennen den Fluß nicht! Er hat böse Strömungen, und nachher landen Sie in China! Hat man so einen Leichtsinn schon gesehen? Zurück, verdammtes Söhnchen, zurück! Komm zurück, Igor … kehr um. Ich flehe dich an …«
    Umsonst. Marko tobte am Ufer entlang, suchte ein anderes Boot, aber er fand keins mehr. Da rannte er in seiner größten Not zu den schachspielenden Menschen, warf die Arme empor, schrie sie an, und als sie keine Regung zeigten, stieß er mit kühnem Fußtritt das Schachbrett um.
    Das war ein grober Fehler, denn nun wurden die Männer munter. Sie zuckten von den Kisten hoch, warfen sie auf den wegrennenden Zwerg, rissen Bretter vom Boden und schlugen auf ihn ein. Wie ein Wiesel flitzte Marko zwischen den abgestellten Wagen hindurch, versteckte sich hinter Holzstapeln und wartete, bis sich der Zorn der Schachspieler gelegt hatte. Vorsichtig lugte er zum Fluß. Igors Boot schwamm weit draußen und hielt auf den anderen Punkt zu, der auf dem goldenen Wasser tanzte. »Es wird Unannehmlichkeiten geben«, sagte Marko ahnungsvoll.
    *
    Igor ruderte, was seine Muskeln hergaben. Zuerst war es nur Spaß gewesen, ein Ausflug, eine Erinnerung an die Kinderzeit in Kischinew, wo er mit seinem Vater oft auf dem Bakul ruderte.
    Er pfiff lustig vor sich hin, kam dem Punkt näher und erkannte, daß es auch ein Boot war. Aber dieses Boot bewegte sich nicht … im Gegenteil, ein Mensch stand darin, winkte heftig mit beiden Armen, und wie es schien,

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