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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie strichen von den Wäldern herüber und suchten Zieselmäuse, Hasen oder verirrte Lämmer.
    Igor hatte Dunja nicht mehr gesehen. Er hatte auch nicht gesehen, wie sie hinter dem Fenster stand und ihnen nachblickte, bis das Wägelchen hinter der Wegbiegung verschwand.
    »Ob er wiederkommt?« fragte sie, als sie sich an den Tisch setzte.
    Mütterchen Anna kochte bereits eine Milchsuppe. Sadowjew liebte es, morgens die heiße, frischgemolkene Milch zu schlürfen.
    »Wenn er ein Mann ist – bestimmt«, sagte sie und rührte im Kessel.
    »Väterchen mag ihn nicht.«
    »Ein Mann kann auch das überwinden.« Anna lehnte sich gegen den gemauerten Herd. »Mein Vater hat Dimitri Ferapontowitsch viermal hinausgeworfen. Beim letztenmal brach er sich sogar den rechten Fuß. Mit einem Holzkasten um sein Bein und an Krücken kam er wieder. Es war einfach nichts zu machen, und die ganze Familie sagte mit knirschenden Zähnen ja. Und sind wir nicht glücklich geworden, Dunjuscha? Ist dein Vater Dimitri nicht ein fabelhafter Mensch?«
    »Und wenn Igor nicht wiederkommt?«
    »Dann vergiß ihn, Töchterchen. Vergiß ihn schnell! Nur faule Äpfel fallen allein vom Baum …«
    Nach vier Stunden Fahrt erreichte die Fuhre die Wälder von Blagowjeschtschensk. Eine Querstraße führte in den Wald, staubig, ausgefahren, voller Löcher. Ein schiefes, verwittertes Schild hing an einem Baum, kaum noch lesbar, aber das war auch nicht nötig, jeder im Umkreis von fünfzig Werst kannte die Schrift auswendig und respektierte sie.
    »Verbotener Weg. Betreten wird bestraft.«
    »Stoj!« brüllte Sadowjew und zog den Pferden den Kopf in den Nacken. »Hier sind wir, Freunde. Macht's gut.«
    »Das ist doch keine Stadt?« sagte Igor verwundert.
    »Nein. Die Stadt liegt noch drei Werst weiter. Aber ihr wollt zum Lager, und das liegt am Ende dieses Weges.« Sadowjew faßte die Zügel fester, als müsse er gleich mit der Zunge schnalzen und im Galopp davonrasen. »Verlangt nicht, daß ich euch bis vors Tor fahre. Niemand bringt mich dazu, die verdammte Straße zu betreten. Zu Fuß sind es noch zwanzig Minuten. Lebet wohl, Genossen.«
    Er blieb auf seinem Bock und sah zu, wie Igor und Marko ihr Gepäck über die Schulter warfen und die verbotene Straße hinabmarschierten.
    »Ein Lagerarzt!« rief er verächtlich und ließ die Peitsche pfeifen. »Ein dreckiger Lagerarzt! Totschlagen werde ich ihn, wenn er Dunjuscha berührt …«

Z EHNTES K APITEL
    Erst nach einer Stunde erreichten Igor und Marko den Lagerbereich. Plötzlich weitete sich die Straße zu einem riesigen Platz. Eine Welt lag vor ihnen, in der es alles gab, nur keine Hoffnung.
    Nicht, daß Sadowjew eine falsche Länge der verbotenen Straße angegeben hatte … zwanzig Minuten stimmte. Aber Igor hatte seinen Marsch mehrmals unterbrochen. Am Wegrand lagen Dinge, mit denen man normalerweise nicht eine Straße einfaßt. Eine große Blutlache, ein abgesplitterter Gewehrkolben, eine Holzplatte mit einer klebrigen Flüssigkeit darauf, die Marko sachverständig als Gehirnmasse bezeichnete, ein geflochtener Schuh, die Innensohle voller Eiter.
    »Eine besondere Straße«, sagte Marko und warf den Schuh weit weg in den Wald. »Doktor, sie werden am Ende des Weges vergessen müssen, daß Sie ein Mensch sind.«
    »Oder sie warten dort auf einen Menschen!«
    Marko sah Igor scheel an, zuckte mit den Schultern, schlurfte weiter. Schwer wird es sein, ihn zu beschützen, dachte er. Er ist ein Mensch von übermorgen, und den hat niemand gern.
    Das Lager war so angelegt wie alle Besserungs-Arbeitslager, so heißen sie in der Amtssprache. Ein über drei Meter hoher Holzzaun umgab das gesamte Areal. In ihm waren große hölzerne Tore eingelassen, überragt von ebenfalls hölzernen Wachtürmen. Zwischen dem Zaun und dem eigentlichen Lager breitete sich die verbotene Zone aus, ein Geländestreifen, mit Stacheldraht umzogen. Wer sich in dieser Zone befand, durfte von den Wachen ohne Anruf erschossen werden. Scheinwerfer auf den Wachtürmen tasteten in der Nacht diesen Todesstreifen ab. Neben dem Haupttor standen das Wachhaus, ein Holzbau, mit Stacheldraht umgeben, ein Hundezwinger mit großen, doggenähnlichen, gelbfelligen und grünäugigen Bluthunden, und ein dicker Wasserturm. Im Innern des Lagers, rund um den großen Appellplatz und durch »Straßen« voneinander getrennt, lagen die Baracken der Häftlinge, die Wäscherei, die Küche, das Magazin, die Bäckerei, die Werkstatt, die »politische Baracke«, eine Art

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