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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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liebe ein Mädchen«, sagte er und wußte im gleichen Augenblick, daß er Marianka zu einer Bestie machte. »Ich liebe es wie eine Rose den Tau, wie das Korn Sonne und Wind, wie die Erde den Regen. – Und jetzt geben Sie mir den Schlüssel.«
    »Du läßt die Dussowa sitzen wie eine alte, stinkende Hure?« Sie bückte sich, nahm den Schlüssel vom Boden und schleuderte ihn Igor vor die Füße. Ihre Stimme klang nach Rost. »Wenn du ihn aufhebst, hasse ich dich!«
    Igor Antonowitsch zögerte nicht einen Augenblick. Kaum lag der Schlüssel vor ihm, bückte er sich.
    »Igor!« schrie sie hell. Sie war aufgesprungen und stand breitbeinig vor dem Bett. Er zuckte zusammen und starrte von unten zu ihr hoch. »Laß ihn liegen! Ich bitte dich, ich flehe zu dir … rühr ihn nicht an!« Mit einer Wildheit, wie der Sturm aus der Taiga sonst die Dächer abdeckt und die Läden aus den Angeln reißt, die Bäume abdreht und die wogenden Kronen zerfetzt, riß sie ihre Jacke vom Körper, zerrte die Hose herunter und stand in völliger Nacktheit vor ihm. Alles an ihr bebte; die unterdrückte vulkanische Glut ihres Körpers sprang ihn an wie ein Feuerstrahl.
    »Ist sie schöner als ich? Gibt es einen festeren Körper als mich? Ist sie nicht ein gerupftes, dürres Vögelchen?«
    »Eine Göttin könnten Sie sein, Marianka Jefimowna«, sagte Igor mit schwerer Zunge. Wie Blei bewegte sie sich in seinem Gaumen. Schweiß brach aus seinen Poren und klebte das Hemd an den Rücken. »Aber der Mensch ist ein Wunderding – er verehrt die Göttin und liebt das gerupfte Vögelchen. Wer will's ändern?«
    Er hob den Schlüssel auf, öffnete die Tür und ließ Marianka Jefimowna allein.
    Vor Zimmer 20, einem Sammelraum, standen vier Wachsoldaten mit blutigen Händen, Russlan kam gerade aus der Kammer und verzog das Gesicht, als er den neuen Arzt bemerkte.
    »Was ist hier los?« schrie Igor Antonowitsch. Er war froh, schreien zu können. Der Druck in seinem Innern war unerträglich geworden.
    Ein Soldat trat vor und nahm Haltung an. Ein junges Gesicht, helle Augen, unter dem Schiffchen kurze blonde Haare. Ein Weißrusse, dachte Igor völlig sinnlos. »Ein Ausbruchsversuch, Genosse Doktor«, sagte der Junge militärisch knapp. »Laut Befehl wurde Feuer eröffnet. Der Mann ist tot.«
    Pjetkin betrat die Kammer. Auf dem Boden lag eine verkrümmte Gestalt, knochig, ausgezehrt, weggeworfen wie ein Stück Aas. Aus dem Kopf tropfte noch immer Blut und floß über das Gesicht. Die Augen aber und der Mund lächelten. Welch ein Frieden, dachte Igor, welch ein Glück. Wie schrecklich muß das Leben hier sein, wenn der Tod ein Geschenk ist! Er verließ die Kammer, blickte Russlan kurz an und zeigte nach hinten.
    »Der Mann wird gewaschen, sauber angezogen und aufgebahrt«, sagte er. »Und zwar sofort! Los! Glotz nicht wie ein Frosch – an die Arbeit!«
    »Das ist ja etwas ganz Neues.« Russlan, der Sträfling, Straßenräuber und Krankenpfleger steckte die Hände in die Taschen seiner Hose. »Das ist ja Blödsinn.«
    »Du sollst ihn waschen!« brüllte Igor. Er packte Russlan am Kragen, schleuderte ihn in die Kammer und gab ihm noch einen Tritt hinterher. Russlan krachte gegen die Wand und klammerte sich an der Fensternische fest. »Im Eingang bahrt ihn auf! Damit ihn jeder sieht! Und der Kopf wird nicht verbunden!«
    Die Soldaten glotzten Igor an. Wer kann solch eine Aufregung verstehen? Aufbahren? Einen Sträfling? Ist er ein Staatsmann? Sie traten in einer Reihe an und standen stramm, als Igor sie anblitzte. Strammstehen ist immer gut, es ist das beste Mittel des Soldaten, sich aus allen Affären zu ziehen. Wer strammsteht, ist neutral.
    »Er war kein Ausbrecher –«, sagte Igor mit schwankender Stimme. »Er wollte sterben.«
    Von ihrem Zimmer kam die Dussowa den Gang entlang. Unbemerkt mußte sie bei dem Durcheinander aus Pjetkins Zimmer geflohen sein. Nun war sie angezogen wie beim morgendlichen Rapport. Stiefel, die blaue Pumphose, ein schwarzes Hemd, die Haare streng nach hinten gekämmt. Ausdruckslos, erstarrt das flächige Gesicht mit den breiten Backenknochen. Ein Todesbote.
    »Wo ist der Tote?« Ihre Stimme klirrte metallisch. Es war der Ton, vor dem sich jeder verkroch wie vor dem Heulen des Eiswindes. Nur nützte es nichts … vor dem Taigasturm kann man die Türe verriegeln und die Fenster verkleben, man kann auf den Ofen kriechen und die Decke über den Kopf ziehen … vor einer Dussowa aber lief man nicht davon. Wo sie war, erstarb jeder

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