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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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alles in Ordnung und sagt zu dir: ›Genosse Pjetkin, Humanismus ist ein feines Wort – aber lernen Sie bitte, es zu stottern. Wenn Sie bis HU – kommen, hören Sie auf. Das andere ist nicht mehr wichtig …‹ Und du mußt dich beugen, du spürst, wie aus ihren Mündern der Eishauch weht.«
    »Wie aus Ihrem Mund, Marianka Jefimowna.« Igor Antonowitsch setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, holte den Bleistift aus der Holzschale – ein Sträfling hatte sie geschnitzt und der Dussowa geschenkt, voll Hoffnung und Verzweiflung, damit ihr Herz zu rühren – zog den Brief an sich und unterschrieb ihn. Während der Bleistift über das Papier schabte, rutschte sie vor, schob das Gesäß über die Platte und legte ihre Beine über seine Schulter. Die Absätze drückte sie hinter seinem Nacken zusammen und zwang so seinen Kopf nach vorn. »Wie heißt sie?« fragte sie mit schwerer Stimme.
    Pjetkin schielte an ihren Beinen und Schenkeln vorbei, aber ihr Kopf war nicht zu sehen. Sie hatte sich zurückgelehnt, starrte gegen die Decke, und ihre Brust verdeckte das Gesicht vor ihm.
    »Wer?«
    »Wer? Das kleine, schmächtige Vögelchen!«
    »Dunja.«
    »Dunja! Der Name eines Bauerntrampels. Ich hasse sie!«
    »Ihr Haar ist wie goldener Weizen.«
    »Ich vernichte sie! Einen Schal werde ich mir aus ihren Haaren stricken lassen. Und er wird zwischen uns liegen, wenn wir uns lieben. Ich hasse sie!«
    Sie zog plötzlich die Beine zurück, ließ sie wieder vorschnellen und trat Pjetkin gegen die Stirn. Rücklings stürzte er vom Stuhl, kugelte über den Boden und blieb einen Augenblick benommen liegen. Seine Stirn brannte. Er hörte das Lachen der Dussowa, ein triumphierendes Gelächter, schaurig wie das Gekreische eines Irren.
    Taumelnd zog er sich an der Wand hoch und schwankte hinaus.
    »Ich schicke den Brief ab!« schrie ihm die Dussowa nach.
    Pjetkin warf die Tür zu und rannte in sein Zimmer. An diesem Abend schrieb er einen Brief an seinen Vater. Zum erstenmal belog er ihn. »Ich habe hier viele neue Projekte in Angriff genommen –« schrieb er und schämte sich für jedes Wort. »Hier, im Jungfräulichen Land, ist man für jede praktische und durchführbare Idee aufgeschlossen. Vor allem der Ausbau der medizinischen Versorgung wird mit Elan vorangetrieben. Ich habe hier viele liebe Menschen gefunden, die mir den Abschied von Dir leichter, aber nicht vergessen machen. Mein Herz ist voll Glück. Warum lachst Du, Väterchen? Ich habe sie gefunden … du wirst es nicht glauben … in einem Boot auf dem Amur. Das Mädchen, das wir damals suchten. Dunja heißt sie.«
    Dann berichtete er alles von Dunja und versteckte hinter ihr sein ganzes Elend. Am Ende des Briefes war er erschöpft. Seine Stirn, wo ihn die Dussowa getroffen hatte, war angeschwollen und brannte höllisch. Er stand auf, tauchte ein Handtuch in kaltes Wasser und wickelte es sich um den Kopf. Als er sich wieder über den Brief beugte, tropfte Nässe auf das Papier und verwischte die Schrift. Pjetkin sah unschlüssig den Brief an. Es könnten Tränen sein, wird Väterchen denken, durchfuhr es ihn. Mein Igoruschka hat geweint. Das soll er nicht denken. Ich werde ihm morgen einen anderen Brief schreiben.
    Er zerknüllte den Brief, zerriß ihn dann in kleine Fetzen, warf sie in einen metallenen Aschenbecher und zündete sie an.
    *
    Fünf Tage verlief der Dienst normal, wenn man soviel Galgenhumor besitzt, das Leben in einem Straflager normal zu nennen. Am vierten Tag meldete sich ein neuer Arzt bei der Dussowa. Der Gesundheitskommissar in Chabarowsk, ein Mann mit bissigem Humor, das muß man sagen, hatte sich die Klagen notiert, die Dr. Pjetkin am Telefon vorgetragen hatte. Vor allem der Mangel an Ärzten bedrückte sein Gemüt, und nun hatte er einen neuen überwiesen, der auf die Dussowa prallte wie ein Stein auf die Oberfläche eines Ozeans. Er war ein zierliches Männlein mit Intellektuellenbrille und begriff noch nicht ganz, warum und wieso man ausgerechnet ihn von der Stelle für Lungenkrankheiten beim Gesundheitsamt hinweg in ein Umerziehungs-Arbeitslager versetzt hatte. Da man in Rußland über Befehle nie laut nachdenkt, hatte er seine Koffer gepackt und war losgefahren. Pjetkin operierte gerade … einen Blasenstein, so groß wie ein Hühnerei. Der Kranke hatte so lange in seiner Baracke gebrüllt, bis der Obmann sich erweichen ließ und an die Blasenkolik glaubte. Pjetkin hatte sofort eine Spiegelung vorgenommen und sich zur Operation entschlossen. Er

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