Heiß wie der Steppenwind
erinnern«, sagte Plumow steif. »Er kann Königsberg nicht vergessen haben.«
»Er hat nie davon erzählt, nur von Kischinew, seinem Väterchen Anton Wassiljewitsch und seinem Mütterchen Irena Iwanowna. Bei Glatteis haben sie sie überfahren, weil die Stadtverwaltung das Geld für den Streusand versoffen hatte. Das hat er alles erzählt, aber von Königsberg … nie!« Sadowjew zerrte an seinem dünnen Bart und zog damit die Oberlippe herab. Es sah aus, als schluchze er schauerlich. »Was soll nun werden?«
»Ihre Tochter Dunja muß auf Pjetkin verzichten.«
»Betrachten Sie mich nicht als Konterrevolutionär, Genosse«, sagte Sadowjew und wog jedes Wort ab. Schließlich hatte Pjetkin zweimal das Leben Dunjas gerettet, so etwas ist nicht nur des Lobes, sondern auch der Toleranz wert. »Aber warum ist es nicht möglich, daß ein Deutscher, der Russe geworden ist, ein russisches Mädchen heiratet?«
»Fragen Sie Moskau«, antwortete Plumow steif. »Wir haben in Chabarowsk die Gesetze nicht gemacht, und der Befehl kam aus dem Kreml. Wir sind nur ausführendes Organ.«
Sadowjew nickte schwer. Moskau, natürlich Moskau. Fragen Sie Moskau – welch eine dämliche Rede. Wer fragt schon in Moskau an?
»Kennen Sie meine Tochter Dunja?« fragte Sadowjew vorsichtig.
»Nein.«
»Sie sollten sie kennenlernen, Genosse. Sie würden dann begreifen, daß es leichter ist, einen Walfisch zu dressieren, als Dunjenka einen anderen Willen aufzuzwingen. Gehen Sie zu ihr, sagen Sie ihr: ›Täubchen, aus der Heirat wird nichts, leg den Stoff fürs Brautkleid weg, verstecke den Schleier in der alten Truhe, und such dir in Ruhe einen anderen Mann, der in Rußland geboren ist. Es gibt sechzig Millionen Männer in der Sowjetunion … einer wird darunter wohl zu finden sein, der dir die Kinderchen macht.‹ Wissen Sie, was passiert? Anna, mein Weib, wird den großen Rührlöffel nehmen und Sie aus der Stube prügeln, und Dunjenka wird Ihnen mit einem Lederriemen nachlaufen und Sie über die Straße treiben. Gehen Sie hin, und erzählen Sie den Weibern die verzwickte Geschichte. Wenn Sie gesund zurück nach Chabarowsk kommen, sind Sie ein Held. Bei Gott, der abgeschafft ist … ich wage es nicht!«
Plumow erhob sich. Weniger seine Pflicht, als der bestialische Gestank aus Sadowjews Pfeife vertrieb ihn. »Sie begleiten mich, Genosse?« fragte er hustend.
»Bis vor den Zaun. Dann setze ich mich in den Stall und bekreuzige mich.«
»Gehen wir.«
Sadowjew grübelte den ganzen Weg darüber nach, wie ein Mensch Russe sein konnte, Lagerarzt sogar, und doch ein Deutscher. Die Gesetze sind verworren. Er drückte Plumow am Flechtzaun die Hand, blickte ihn lange an, als ginge der andere zum Schafott und verschwand dann in der Scheune.
Plumow betrat das Haus, er roch schon im Flur den Fisch-Borschtsch, was ihn angenehm berührte, und stieß die Tür zum Wohnraum auf.
Nach einer halben Stunde erschien er bei Sadowjew im Stall. »Sie leben und gehen noch, Genosse«, rief Sadowjew bewundernd. »Wie haben Sie das angestellt?«
»Kümmern Sie sich um Ihre Familie«, sagte Plumow ernst. »Sie braucht Beistand.«
»Und Dunjenka?«
»Sie ist ein kluges Mädchen. Sie verzichtet.«
»Unmöglich! Haben Sie sie hypnotisiert?«
»Der Staat hat ihre Ausbildung als Ärztin bezahlt, der Staat ist also ihr zweiter Vater. Vätern gehorcht man … oder man wird verstoßen.«
Sadowjew fühlte es kalt über seinen Rücken laufen. Das KGB … der Himmel verhindere einen Zusammenstoß mit diesen Menschen. Sie haben immer recht, denn hinter ihnen steht eine einsame Macht.
»Ich danke Ihnen, Genosse«, sagte Sadowjew höflich. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Ich fahre ins Lager und spreche mit Pjetkin. Dann ist das Problem gelöst.« Plumow gab Sadowjew die Hand. Er drückte ein schlaffes Fetzchen Fleisch. »Sie werden Pjetkin nicht wiedersehen … das ist Ihnen doch recht, nicht wahr?«
»Es entlastet mein Vaterherz«, antwortete Sadowjew dunkel.
Im Haus lag unheimliche Stille.
Anna und Dunja saßen am Ofen und weinten lautlos. Sie starrten Sadowjew aus ihren verquollenen Augen an, und diese Blicke waren so schmerzlich, daß Sadowjew die Mütze vom Kopf riß, auf den Boden schleuderte und darauf herumtrampelte.
»Ich bringe diesen Plumow um!« brüllte er. »Ich ersäufe ihn im Fluß! Aber was nützt es? Es wird ein anderer kommen. Die Gesetze kann man nicht ersäufen.«
»Ich liebe ihn …«, sagte Dunja und faltete die Hände. »Und wenn es
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