Heiß wie der Steppenwind
seine Brust. »Aus Moskau ist ein Fernschreiben eingetroffen. Wir handeln also auf allerhöchste Initiative. Und die lautet: Wir verbieten Ihnen, Dunja Dimitrowna zu heiraten!«
»Sie sind verrückt!« Pjetkin lächelte schief. Aber dieses Lächeln war bereits Ausdruck eines Schmerzes, der sein Herz in Stücke riß. Da war ein Befehl, ein Befehl aus Moskau, und Pjetkin hatte es von seinem Vater oft genug gehört: Man muß gehorchen. Wer ausbricht aus der Front des Kollektivs, ist verloren. Ein Schaf ist nur in der Herde sicher … außerhalb schlägt es der Wolf. »Wie kann man mir befehlen, wen ich liebe?«
»Wir können es, Igor Antonowitsch! Nicht, weil wir etwas gegen Dunja Dimitrowna haben, schon gar nicht gegen Sie persönlich. Sie sind ein Arzt, in dessen Papieren man nur Lob vermerkt hat, wir haben Großes mit Ihnen vor, Versetzungen an berühmte Kliniken, eine Dozentur, sogar Professor sollen Sie einmal werden, man hat Ihre Arbeit über neue Methoden der Gastroenterostomie sehr aufmerksam gelesen … aber Ihre Heirat ist unmöglich.«
»Begründung!« sagte Pjetkin knapp. Der Lobgesang ließ ihn kalt … es war der Zuckerguß über eine bittere, vergiftete Pille.
»Begründung?« Plumow streckte die Beine vor. »Sie sind ein Deutscher.«
»Was bin ich?« Pjetkin hatte vieles erwartet … doch das machte ihn konzeptlos. Ein Deutscher? Dreht sich der Zeitenlauf zurück? Königsberg, der Friedhof, das Trommelfeuer auf den Gräbern, die Vernichtung der Stadt, der Sturm der Roten Armee, der Kapitän Pjetkin, der einen kleinen, weinenden, verängstigten Jungen hinter einem Grabstein findet … Wer denkt noch daran? Das Waisenhaus war seine neue Heimat geworden, dann Kischinew, er hieß Pjetkin, hatte eine Mutter, Irena Iwanowna, einen Vater, Anton Wassiljewitsch, er war sowjetischer Arzt … und da kam dieser fremde Mensch und sagte kalt: Sie sind ein Deutscher!
»Wo sind Sie geboren?« fragte Plumow ungerührt.
»In Königsberg. Aber …«
»Wie hießen Ihre leiblichen Eltern?«
»Peter Kramer und Elisabeth Kramer, geborene Reiners.«
»Und da fragen Sie: Ich bin ein Deutscher?«
»Oberst Pjetkin hat mich adoptiert. Ich bin in Rußland aufgewachsen, habe sowjetische Schulen besucht, die Universität, habe meinen Doktor gemacht, bin Lagerarzt und keiner hat bisher gefragt: Wo sind Sie geboren?«
»Aber die Akten haben es nicht vergessen. Sie sind Pjetkin, dem Namen nach, aber Sie sind Hans Kramer von Geburt. Wenn man ein Schaf schert und in eine Kalbshaut näht, was wird es dann?«
»Ich bin kein Schaf! Nie hat man mir gesagt, daß ich kein Russe bin! Ich fühle als Russe, ich denke als Russe, ich lebe als Russe, ich liebe dieses Land mit einem glühenden Patriotismus, wie es wenige Bürger tun, ich wäre bereit, für dieses Land zu sterben … warum soll ich Deutscher sein? Ich kenne Deutschland nicht, ich habe keine seelische Verbindung zu diesem Land, es ist mir fern wie der Mond, es kümmert mich gar nicht, ich wäre ein Fremder auf seinem Boden … warum will man mich zu etwas machen, was ich nicht sein kann?«
»Weil Sie dort geboren sind. Sie sind in unser Land integriert … aber es ist völlig ausgeschlossen, daß wir die Ehe mit einer echten Russin genehmigen.«
»Und das sagt Moskau?«
»Sie können es schriftlich haben, Igor Antonowitsch, wenn Sie wollen.«
»Und Sie glauben, ich beuge mich diesem Irrsinn der Behörden?«
»Da haben wir es. Die deutsche Eigenschaft der Kritik! Ein echter Russe beugt sich fragenlos dem Befehl aus Moskau.« Plumow erhob sich mit einem Ruck. »Ich war bereits in Issakowa. Dunja Dimitrowna ist vernünftiger als Sie, Pjetkin. Sie verzichtet …«
»Das ist nicht wahr!« schrie Pjetkin. »Das lügen Sie!« Er riß die blutbespritzte Schürze ab und warf sie gegen die Wand. »Sie haben Dunja unter Druck gesetzt. Warum schlage ich Ihnen nicht den Schädel ein? Erwarten Sie Ehrfurcht vor dem KGB? Angst? Kniefälle? Sie kennen mich nicht, Iwan Ignatiewitsch!«
»Ich weiß, daß Sie ein Revolutionär sind. Aber die Mauern um Sie herum sind dick. Meterdick. Kein Kopf hält das aus. Hirnschalen sind wie Glas. Seien Sie vernünftig, Pjetkin. Sie können Professor in Charkow oder Kiew werden. Sie sind ein Genie … man weiß das in Moskau.«
»Ich war noch nie so vernünftig wie jetzt«, sagte Pjetkin mit bebender Stimme. »Sie haben Ihren Auftrag angebracht, Genosse Plumow, und ich sage Ihnen offiziell, daß ich Ihren Befehl mißachte. Und nun gehen Sie aus dem
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