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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kleinen Büro und brüllten auf wie ein klassischer Chor, wenn von draußen neue Meldungen durchs Fenster geschrien wurden.
    »Sie räumen die Bäckerei um. In der Küchenbaracke liegen bereits zwanzig Kranke. Irrtum … es sind zwanzig Betten für die Kerle aus der Baracke vier. Im Magazin bauen sie neue Pritschenreihen.«
    »Das ist Revolution!« brüllte der Küchenchef. »Ein Aufstand! Genosse Major, wozu haben Sie Maschinengewehre? Dieser Pjetkin zerstört die ganze Ordnung!«
    »Ich kann gar nichts tun ohne einen Befehl aus Chabarowsk. Solange es keine Toten gibt, sollen sie sich austoben. Wenn sie müde sind, kassieren wir sie ein.«
    Der Major war ein kluger Mann. Er setzte das Militär nicht ein. Schon ein blinkendes Bajonett konnte der Funken in einem Pulverfaß sein. Es war nicht nötig, das Lager Sergejewka in eine Hölle zu verwandeln. Dagegen entschloß er sich, mit Dr. Pjetkin selbst zu sprechen. Allein, ohne Waffen – man weiß, wie empfindlich die Verbannten sind – ging der Kommandant durch das Lager, ignorierte die bösen Zurufe und suchte Pjetkin. Er fand ihn in der Baracke Nr. 4. Pjetkin saß an einem Bett und gab einem Kranken eine Spritze.
    »War das nötig, Doktor?« fragte der Major vorsichtig.
    Pjetkin legte die leere Spritze auf ein Tablett, das mit einem Mulltuch abgedeckt war. Peinliche Sauberkeit in einer Kloake. »War das, was die Genossin Dussowa tat, notwendig?« fragte er zurück.
    »Wir konnten sie nicht daran hindern.«
    »Sehen Sie, und mich kann auch niemand hindern.«
    »Sollte das nicht ein Irrtum sein, Genosse Pjetkin?«
    Der Major setzte sich auf die gegenüberliegende Seite des Bettes. Der Kranke, der gerade seine Injektion bekommen hatte, verfluchte die Müdigkeit, die in ihm hochkroch. Jetzt, wo es interessant wird, mußte er schlafen. Er riß die Augen auf, begann lautlos zu zählen und dachte an seine Frau. Aber die Spritze war stärker. Er schlief ein.
    »Die Genossin Dussowa tut ihre Pflicht … Sie stiften nur Unruhe im Lager.«
    »Ich brauche Krankenbetten. Bekomme ich sie nicht, nehme ich sie mir. Seit vier Wochen laufen meine Anträge.«
    »Vier Wochen! Ist das eine Zeit? Sie können ungeduldig werden, ach was ungeduldig, Sie können einmal höflich nachfragen nach vier Jahren. In welcher Welt leben Sie eigentlich?«
    »In der Welt eines freien Arbeiter- und Bauernstaates. In der Welt des Menschenrechts.«
    »Und diese Ordnung zerstören Sie.«
    »Wo war hier Ordnung? Nennen Sie es Ordnung, wenn die Kranken neun Stunden in der Sonne liegen oder stehen? Neun Stunden Parade stehen vor einem hysterischen Weib?«
    Der Major legte die Hände auf den Rücken. Seine Haltung versteifte sich … er war gekommen, um zu befehlen, nicht um zu diskutieren. »In einer Stunde rücken die Außenkommandos ein. Es wird ein Chaos geben! Stellen Sie die früheren Zustände wieder her, Genosse Pjetkin.«
    »Nein!« Eine klare Antwort, gegen die es keine weiteren Fragen gab.
    »Sie wissen, daß ich Sie in Chabarowsk melden muß?«
    »Tun Sie Ihre Pflicht, Genosse Major. Ich werde meinerseits einen Bericht nach Moskau schicken.«
    Der Major war nicht beeindruckt. So erdrückend eine Drohung mit Moskau ist, in diesem Falle stand das Recht auf seiner Seite. »Ich könnte meine Truppen einsetzen«, sagte er, sogar etwas hochmütig. Für ihn war Igor Antonowitsch Pjetkin bereits ein gezeichneter Mann. »Aber ich lasse die von Ihnen geschaffenen Zustände als Beweisobjekt für die Kommission aus Chabarowsk.«
    Bis tief in die Nacht suchten die Sträflinge ihre neuen Schlafstellen, ihre Kleider, Eßgeschirre, selbstgebastelten Schachbretter, Spielkarten aus Zuckersackpapier und die kleinen, nichtigen Dinge, die in dieser Welt der menschlichen Auflösung so wertvoll wurden. Viele schlichen in die Baracke Nummer 4 zurück, lösten Dielenbretter, schraubten an den Pritschen herum und holten aus den Verstecken ihre Wertsachen: Tabak, ein scharfes Messer, eine Feile, einen Sack mit Mais, eine Dose ausgelassenes Fett, das Foto einer nackten Frau, eine zerlesene Bibel. Die Diamanten der Deportierten. Aber das gefürchtete Chaos blieb aus. Nur schadenfreudiges Lachen tönte durch das Lager, als die Funktionäre, die Bäcker, Köche und Schreiber, zu sechsen oder zehn in einem Zimmer hockten, bleich vor Wut, und Pjetkin in die Hölle wünschten. Erst, als im Lager wieder Ruhe herrschte, als die Scheinwerfer ihr bleiches Licht über die Baracken und Lagerstraßen gossen, aus den Wäldern das Heulen

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