Heiß wie der Steppenwind
mangelnde Reaktion: »Ich stehe der Wachstation vor, Dr. Pjetkin. Wir haben zweiundzwanzig Frischoperierte …«
»Dann wäre es gut, Genossin, wenn Sie sich um die Patienten kümmerten«, antwortete Pjetkin freundlich. »Auf Dr. Trebjoff kann ich allein warten.«
Mit einem Blick, der mehr Erstaunen als Beleidigung ausdrückte, verließ Sinaida den Vorraum der Operationsabteilung.
Pjetkin ging unterdessen herum, betrachtete die moderne Einrichtung, begrüßte einige Schwestern und junge Ärzte, die sich für die nächsten Operationen bereitstellten und vorbereiteten, studierte interessiert den OP-Plan und dessen generalstabsmäßige Einteilung und fand, daß Trebjoff ein vorzüglicher Arzt sein müßte mit wesentlich größerer klinischer Erfahrung als er, Igor Antonowitsch Pjetkin.
Die schalldichten Türen des Operationssaales öffneten sich, das fahrbare Bett mit dem noch in Narkose liegenden Patienten wurde herausgerollt. Ihm folgte, noch in Gummischürze, mit heruntergezogenem Mundschutz und in den Nacken geschobener Operationskappe, ein breiter, großer Mensch. Noch bevor er sich vorstellte, wußte Pjetkin: Das ist Trebjoff. Ein Mann, der Sicherheit ausstrahlte wie ein Leuchtturm.
»Willkommen, Igor Antonowitsch«, sagte er mit einer herrlichen Baßstimme. »Warum hat man Sie hier herumsitzen lassen? Hat Ihnen keiner Ihr Zimmer gezeigt?«
Sie gaben sich die Hand und faßten vom ersten Blick an Zuneigung füreinander. Pjetkin winkte ab. »Ich habe es so gewollt, Genosse.«
»Ich heiße Awdeij Romanowitsch.« Trebjoff faßte Pjetkin unter und verließ mit ihm den Operationstrakt. »Gehen wir zuerst ins Dienstzimmer. Es ist manches zu erklären, bevor Sie hier Ihre Arbeit aufnehmen.«
Der Dienstraum Trebjoffs war ein dunkles, kleines Zimmer am Ende des Ganges, spärlich eingerichtet mit drei Stühlen, einem Tisch, auf dem Krankenpapiere, Röntgenplatten und Fieberkurven in einem verwirrenden Durcheinander lagen, einem Holzschrank voller Bücher und Akten und einem großen Leninbild an der Längswand. Der einzige Luxus war ein kasakischer Hirtenteppich.
Trebjoff setzte sich, schob Pjetkin einen Kasten mit Papyrossi hin und lehnte sich zurück, indem er den Stuhl nach hinten kippte und hin und her wippte.
»Die oberste Krankenhausverwaltung hat Sie als Chefchirurg nach Chelinograd versetzt«, sagte er langsam und blies den Rauch seiner Zigarette gegen die niedrige Holzdecke. »Sehen wir ganz klar, Igor Antonowitsch: Dieser Auftrag hat zwei Seiten, eine polierte und eine beschlagene. Sie werden ab sofort die Chirurgie übernehmen, während ich als Chefarzt das gesamte Haus leite. Wir werden gut zusammenarbeiten, ich mag Sie, Genosse, Ihre Personalakte ist voller Lob, ich weiß, welch ein hervorragender Chirurg Sie sind und was man mit Ihnen für Pläne verfolgt. Das ist aber alles nur eine fachliche Hymne. Die polierte Seite. Dreht man die Medaille herum, liest sich das anders. Sie sind ein Feuerkopf, revoltieren gern, kümmern sich einen Dreck um höchste Anordnungen, beleidigen laufend die Beamten, versuchen Reformen einzuführen, stiften Unruhe durch einen geradezu sittenwidrigen Rechtsfanatismus, kurzum Sie sind politisch ein Fragezeichen. Man hat deshalb auch Ihren Paß von Chabrowsk direkt zur hiesigen Bezirksregierung geschickt, wo er im Panzerschrank aufbewahrt wird. Sie bekommen nur eine Identitätskarte, auf der bescheinigt wird, daß Sie Pjetkin heißen.«
»Das bedeutet, daß ich wie ein Deportierter behandelt werde.« Pjetkin hatte so etwas geahnt. Jetzt aber, wo ihm seine Befürchtungen in höflichen Worten bestätigt wurden, ergriff ihn das Gefühl eines verbissenen Widerstandes. Ich werde kämpfen, dachte er.
Trebjoff schüttelte den Kopf, griff unter den Tisch in einen Kasten, der zunächst aussah wie ein Papierkorb, holte eine Flasche Alma-Ata-Wodka hervor, entkorkte sie, setzte sie an die Lippen, nahm einen tiefen Schluck und reichte sie Pjetkin. »Man hat einen Zwitter aus Ihnen gemacht, Igor Antonowitsch. Einen freien Chirurgen, der nur einen begrenzten Ausgang hat. Ganz Kasakstan gehört Ihnen, aber nach Omsk dürfen Sie zum Beispiel nicht, und schon gar nicht nach Irkutsk …«
»Sie wissen also, Awdeij Romanowitsch?«
»Ich bin über alles informiert. Auch daß Sie ein Deutscher sein sollen. Das ist natürlich Quatsch, aber überzeugen Sie einmal die Genossen im Kreml. Ich wollte Sie nur über Ihre Lage unterrichten. Sie sind ein freier Mensch ohne Paß. Darin liegt eine Chance
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