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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auszudrücken. Der Geschäftsführer des Hotels ›Nowo Sibirska‹ faltete die Hände, als Sadowjew endlich mit Dunja und Pjetkin wieder auf der Straße stand, daß Gepäck verlud und abfuhr zum Bahnhof.
    Man sollte es nicht glauben … der Zug stand wirklich da, wartete auf dem vorgeschriebenen Gleis, war bereits überfüllt, die ersten Gurkengläser wurden aufgemacht, es roch nach Zwiebeln und Sauerkohl, irgendwo gackerten Hühner in einem Spankorb.
    Sadowjew lief den langen Zug entlang, suchte ein freies Plätzchen, sprang an den Fenstern empor und schrie immer wieder: »Wo kann mein Töchterchen sitzen? Könnt ihr nicht zusammenrücken, ihr dickärschigen Kühe? Meine Tochter ist eine Ärztin! Bedenkt, die Fahrt ist lang … vielleicht kann man medizinischen Beistand gebrauchen! Wer macht Platz?«
    Jeder Russe ist ein vorsichtiger Mensch; am meisten fürchtet er die Krankheit. Und so fand sich tatsächlich in dem überfüllten Zug ein Platz neben einem Mann, der an Asthma litt und die Nähe einer Ärztin sehr beruhigend fand. Man quetschte sich zusammen, schuf so ein schmales Stück freier Bank, Sadowjew warf das Gepäck durchs Fenster und hob gemeinsam mit Pjetkin Dunja hinterher.
    Irgendwo pfiff jemand grell und durchdringend. »Sie fahren schon ab!« schrie Sadowjew. »Dunja, Dunjenka, mein Täubchen, schreib sofort, wie es in Irkutsk ist, ob du ein schönes Zimmer bekommst. Ich schwöre dir, ich schlage ihnen die Köpfe aneinander, wenn du es schlecht hast!«
    Der Zug ruckte an. Von der Lok wallten weiße, dicke Qualmwolken durch die Halle und krochen träge über die Winkenden und Rufenden. Dunja lehnte sich aus dem Fenster und hielt die Hände Pjetkins fest. Er lief neben dem Waggon her, und Sadowjew folgte ihm mit seinen krummen Beinen wie ein keuchender Dackel.
    »In vier Wochen wissen wir mehr, mein Liebling«, sagte Dunja und küßte Igors Hände. »Ich liebe dich, meine Sonne, ich liebe dich …«
    Pjetkin schnürte es die Kehle zu. Er nickte nur, lief neben dem Fenster her, blickte Dunja in die schimmernden großen blauen Augen und wunderte sich, daß sein Herz nicht zerbarst. Als der Zug immer schneller wurde, mußten sie die Hände loslassen, Pjetkin blieb zurück, und winkte mit beiden Armen und verschwamm in den weißen Qualmwolken der Lokomotive wie damals sein Vater auf dem Bahnhof von Kischinew.
    Keuchend erreicht ihn Sadowjew. »Da fährt sie weg«, weinte er und klammerte sich an ihn. »Wie tapfer sie ist. Wie tapfer. Was heißt das überhaupt: In vier Wochen wissen wir mehr?«
    »Dann hat sie sich eingelebt und kann über alles berichten«, sagte Pjetkin ausweichend.
    *
    Die Tage bis zu Pjetkins Abreise nach Chelinograd wurden zu einer Qual. Die Ordnung im Lager war nur noch eine dünne Decke, unter der bereits die Kämpfe um die neue Macht stattfanden. Die Kriminellen hatten Aktionsgruppen gebildet; sie sollten in Tätigkeit treten von der Stunde an, in der Pjetkin das Lager verließ. In der Kommandantur wußte man das, entwickelte einen Einsatzplan für die Stunde X, forderte in Chabarowsk Truppen an und lagerte Tränengasbomben griffbereit auf den Wachtürmen.
    »Wäre dieser Pjetkin doch nie nach Sergejewka gekommen!« stöhnte der Kommandant.
    Die Blatnyje schickten auch eine Abordnung zu Marianka. Sie kamen als Kranke und sagten dann: »Genossin Ärztin, wenn das Gastspiel dieses Idioten Pjetkin vorbei ist, können Sie wieder mit uns rechnen.«
    Die Dussowa nickte zustimmend, sagte knapp: »Ausziehen!« und »Bücken!« und jagte jedem eine Spritze mit einer besonders dicken Nadel in den Hintern.
    In Sergejewka dreht sich auf einmal die Welt anders herum. Aus Chabarowsk kam eine neue schlechte Nachricht: Für Marko Borissowitsch Godunow gab es keine Stelle in Chelinograd. Das Krankenhaus war gut besetzt, es gab Schwestern und Pfleger genug. Sogar zwei Leichenwäscher standen zur Verfügung.
    »Ich fahre mit dir und bleibe in deiner Nähe«, sagte Marko unbeeindruckt von dem Schreiben. »Irgend etwas wird sich finden lassen. Ich bin immer da, wo du mich brauchst.«
    Der Weggang aus dem Lager war von trostloser Einsamkeit. Niemand verabschiedete sich von Pjetkin … der Kommandant schlief noch, die Dussowa hatte sich eingeschlossen, der Lagerverwalter war besoffen, die Obmänner übersahen ihn. Nur der kleine Arzt aus der Quarantänestation kam schnell herüber, wünschte viel Glück und verschwand wieder.
    »Gehen wir«, sagte Pjetkin dumpf, als sie allein vor dem Krankenhaus standen

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