Heiß wie der Steppenwind
der Räder, dem Knarren des ledernen Zaumzeuges, den kleinen Glöckchen auf dem mit silbernen Nägeln beschlagenen Kummet, dem Schnalzen der Peitsche und den leisen Zurufen Sadowjews. Der Himmel über ihnen war blau und unendlich, und der Amur schien in ihn hineinzufließen wie in ein unbewegtes Meer.
Es war vorauszusehen: Sie kamen zu spät in Blagowjeschtschensk an. Als sie vor dem Bahnhof hielten, dampfte der Zug aus der Halle. Sadowjew machte einen hohen Luftsprung und rannte zu den Schaltern.
»Was soll das?« brüllte Dimitri Ferapontowitsch und schüttelte drohend die Fäuste. »Da fährt der Zug, pünktlich auf die Minute! Jeden Tag fährt er später ab, nie werden die Fahrpläne eingehalten, aber ausgerechnet heute dampft er davon! Kann man sich auf nichts mehr verlassen in diesem Land? Warum hat er nicht eine Minute warten können? Wann geht der nächste Zug nach Tschita?«
»Morgen früh um sieben, Genosse«, sagte der Beamte hinter dem Schalter. »Dort an der Wand steht's, auf dem Plan.«
»Morgen früh …« Sadowjew griff sich ans Herz, holte tief Luft und bespuckte den aushängenden Fahrplan. »Es muß noch vieles umorganisiert werden!« schrie er. »Noch sehr vieles!«
Sie fuhren kreuz und quer durch Blagowjeschtschensk und suchten zwei Hotelzimmer, aber auch das ist gar nicht so einfach. Ein Hotelzimmer zu bekommen, ist eine Glückssache, wenn man kein Funktionär, Abgeordneter einer Delegation, Reisender von Intourist, hoher Offizier, ausgezeichneter Wissenschaftler oder sonst ein Mensch mit guten Verbindungen ist. Auch Sadowjew spürte das, als er sein Wägelchen vor dem besten Hotel anhielt, vom Bock kletterte und zunächst den finster blickenden Türsteher zur Seite drückte, der ihn aufhalten wollte. Nach zwei Minuten war er wieder auf der Straße, rot vor Wut und bebend wie ein elektrisches Schüttelsieb.
»Wir müssen hinein«, sagte Pjetkin leise zu Dunja. »Er entfacht sonst noch eine Revolution.«
Es zeigte sich, daß das Hotel wirklich besetzt war. Dunja und Pjetkin wurden höflich behandelt, und als man erfuhr, daß sie Ärzte seien, hob der Portier das Telefon ab und telefonierte mit anderen Herbergen. »Gehen Sie ins ›Nowo Sibirska‹«, sagte er dann. »Man hat ein Zimmer für Sie reserviert. Aber nur für Sie … Ihr Fahrer kann in der Gosse schlafen.«
Pjetkin verzichtete auf eine Diskussion, hielt draußen Sadowjew fest, der wieder ins Hotel stürzen wollte, um den Portier zu erwürgen, und nach langem Fragen gelangten sie zum Hotel ›Nowo Sibirska‹, einer alten Herberge. Das Zimmer war bereitgestellt, ein Doppelzimmer mit einem riesigen Bett aus geschnitztem Holz.
Dunja und Pjetkin verloren kein Wort darüber, daß es nur ein Bett war. Sie gehörten zusammen, und es war ihre letzte Nacht für eine lange Zeit.
Sadowjew verabschiedete sich von ihnen, mit einem wehen Blick auf seine Tochter, denn ihm war klar, daß die Nacht nicht mit Remeschok-Spielen – das heißt ›Riemchen‹ und ist ein Kartenspiel – verbracht werden würde. Er zockelte dann mit seinem Wagen durch die Stadt bis in die Vororte, wo unvermittelt die Taiga wieder begann, fand am Fluß Seja ein sauber aussehendes Bauernhaus und erhielt für 3 Rubel – Halsabschneider sind sie alle! – ein Lager im Strohschuppen..
Es war noch nicht Abend, aber Dunja und Igor sehnten sich nach dem Bett. Sie aßen unten im kleinen Speisesaal einen Teller dünner Schtschi, eine Suppe aus gesäuertem Kohl, und eine Kulibjaka, ein Blätterteigkuchen mit Hühnerleberfüllung, tranken ein Glas süßen, dunkelgelben Weines und gingen dann hinauf aufs Zimmer.
»Sie müssen uns heiraten lassen, wenn wir ein Kind bekommen«, sagte Dunja später. Sie lagen nebeneinander, und die Wärme ihrer Körper floß ineinander. Zum erstenmal gehörte ihnen die Welt allein …
Ihre Zärtlichkeiten waren wie das Brotessen eines Ausgehungerten. Der Abschied, der mit dem dämmernden Morgen heraufzog, überschattete ihre Glückseligkeit nur, wenn sie auseinanderfielen, nach Luft rangen und ihre erhitzten Körper sich streckten.
»Es muß ein Kind werden!« sagte Dunja dann. »Es muß! Das Kind einer Russin!«
»Auch ich bin Russe!« sagte Pjetkin und rauchte eine Papyrossa. »Ich werde es ihnen beweisen.«
*
Um halb sieben holte Sadowjew mit großem Geschrei Dunja und Pjetkin vom Hotel ab. Er wollte nicht wieder zu spät kommen, aber er brauchte Minuten, um überhaupt die Hotelhalle zu stürmen und seinen Wunsch vernünftig
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