Heiß wie der Steppenwind
und Godunow sich die Koffer an zwei Lederriemen über die Schulter hängte. »Sie sind nicht undankbar, sie haben nur Angst.«
S IEBZEHNTES K APITEL
Das Kreiskrankenhaus von Chelinograd war ein langgestrecktes, zweistöckiger Ziegelbau aus den Tagen, als man in Kasakstan begann, sich darauf zu besinnen, daß die Krankheit keine Strafe Gottes, sondern eine durchaus weltliche und heilbare Angelegenheit sei. Nach dem Großen Vaterländischen Krieg begann dann ein Aufbau ohne Beispiel, Geologen und Physiker, Chemiker und Agrarwissenschaftler reisten kreuz und quer durch das riesige Steppenland, vermaßen und steckten ab, gruben und bohrten, legten neue Karten an, entdeckten Bodenschätze von unmeßbarem Wert und verunsicherten die Nomaden und kasakischen Bauern, die Pferdezüchter und Steppenreiter mit der Parole, dieses Land sei eine Wiege des Wohlstandes für ganz Rußland.
Auch das Krankenhaus von Chelinograd profitierte davon. Vorher kamen in dieser Stadt am Ischim, einen Zufluß des großen Irtysch, nur die Händler zusammen. Ein fast orientalischer Markt, bis die Technik sich breit machte, den Zauber der Steppe mit Fördertürmen und mächtigen Fabrikanlagen immer weiter nach Süden drückte und aus Chelinograd eine schmutzige, wenn auch reich gewordene Industriestadt machten. Das Krankenhaus erhielt die neuesten Geräte, einen Operationssaal wie die Kliniken in Alma-Ata, ein vorzügliches Labor für alle Arten der chemischen Physiologie, ein Bestrahlungszentrum und eine Spezialabteilung für Kinderkrankheiten.
Der Stadtsowjet baute um das Krankenhaus herum einen Park mit Pappeln, Birken, Eichen, sibirischen Ulmen, Maulbeerbäumen und weißen Akazien. Rasenflächen und Blumenbeete beruhigten das Auge, wenn man aus den Fenstern blickte … man vergaß dann, daß es nur eine Gemeinschaftstoilette für jede Station gab, sieben Becken nebeneinander, ohne Trennwände. Meistens waren die Becken besetzt, hier saß man herum, rauchte die verbotenen Zigaretten, las Zeitungen, diskutierte über Politik, beklagte seine Krankheit, hörte von ähnlichen Schicksalen. Man soll kein falsches Bild bekommen: Es war ein gutes Krankenhaus. Die Ärzte in Chelinograd waren berühmt, fleißig, arbeiteten bis zum Umfallen, galten als unbestechlich und zum größten Teil grob. Das war kein Fehler, denn die Menschen von Kasakstan liebten nicht das honigsüße Säuseln und die in hohle Worte verpackten Lügen.
Pjetkin nahm sich am Bahnhof von Chelinograd eine Taxe und fuhr zum Krankenhaus.
Pjetkin und Godunow gingen den Weg aller Neuankommenden … sie nannten nicht den Zweck ihres Kommens, sondern ließen sich bei der Aufnahmeschwester in eine Liste eintragen. Wer sie waren interessierte niemanden, die Schwester blickte nicht einmal auf.
Im Aufnahmesaal sahen sich Pjetkin und Godunow um, zählten die vielen Wartenden und hörten sich eine ganze Weile die Klagen ihrer Leiden an. Dann verließen sie das Zimmer und gingen an der gelangweilten Schwester vorbei zu den Stationen. Gleich hinter der Pendeltür trafen sie auf eine junge Ärztin, die mit zusammengezogenen Brauen Pjetkin und Godunow musterte.
»Hier geht es zur Chirurgie«, sagte sie im Befehlston. »Liefern Sie die arme Mißgeburt in der Inneren Abteilung, erster Stock linker Flur, ab.«
Godunow hob die Schultern, ließ die Koffer auf den Boden fallen und gab Pjetkin die Hand. »Ich bleibe in ihrer Nähe«, sagte er. »Hier aber muß ich schnell weg, sonst vergewaltige ich auf der Stelle das hübsche Zicklein.« Er rannte weg, flitzte durch die Pendeltür und ließ Pjetkin allein. Die Ärztin machte Anstalten, ihm nachzulaufen, aber Pjetkin hielt sie am Arm fest.
Und als Pjetkin ihren Arm nicht losließ, funkelte sie ihn an und wurde rot im Gesicht. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Dr. Pjetkin, der neue Chefchirurg. Führen Sie mich zu Dr. Trebjoff. Und wer sind Sie?«
»Sinaida Nikolajewna Swesda.« Sie wehrte sich nicht mehr gegen seinen Griff, blickte ihn groß und staunend an und sagte dann gedehnt: »Sie sind Dr. Pjetkin? Wir erwarten Sie schon. Kommen Sie mit. Dr. Trebjoff operiert gerade, aber er wird Sie bestimmt sofort begrüßen.«
*
Dr. Trebjoff unterbrach seine Operation nicht, sondern führte sie erst zu Ende. Das war etwas, was Pjetkin gefiel, und er faßte zu Trebjoff bereits Sympathie, ohne ihn zu kennen. Sinaida Nikolajewna trippelte unruhig vor Pjetkin herum, bemühte sich, seine Blicke auf sich zu ziehen und sagte dann etwas enttäuscht über die
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