Heiß
studieren. Ein Jahr später trat er dem Oxford University Officer Training Corps bei, dessen rigorose Ausbildung stets mit der Militärakademie in Sandhurst verglichen wird. Nichts für Weicheier also.« Morgan verstummte und nahm einen Schluck Mineralwasser. Der Regen trommelte wütend gegen die Fenster, und es donnerte und krachte, als das Gewitter über Bovington hinwegzog. In Lawrence’ Gesicht zuckte kein Muskel.
»Die Ferien 1908 nutzte er, um durch Frankreich zu radeln und seiner Leidenschaft zu frönen: Er suchte nach Relikten aus der Ritterzeit. Im darauffolgenden Jahr machte er sich auf zu einer Reise zu Fuß durch Syrien und Palästina. Die Fotos, die er bei beiden Fahrten damals machte, haben wir in Clouds Hill gefunden.«
Majors horchte auf. »Lassen Sie die Bilder sofort aussortieren, ich möchte sie mir ansehen«, sagte er, »am besten, Sie suchen sie selbst heraus und bringen sie mir.«
»Yes, Sir, notiert«, gab Morgan zurück. »Lawrence beendete sein Studium der Orientalistik und Archäologie in Rekordzeit, legte sein Examen in Militärgeschichte und Strategie ab, sein Thema lautete:
Die Festungsarchitektur der Kreuzfahrer.
Sie wissen schon, Sir, Akkon und so …«
Der Colonel brummte etwas Unverbindliches und drückte seine Zigarette aus.
» 1911 ging Lawrence nach Karkemisch am Euphrat, um dort nach hethitischen Altertümern zu suchen«, fuhr Morgan fort. »Da in der Nähe der Ausgrabungsstätte die Deutschen an der Bagdadbahn bauten, kam bald das Gerücht auf, Lawrence hätte als Geheimdienstler deutsche Ingenieursleistungen für England ausspioniert. Hat er aber nicht, das steht fest, das geht nicht aus unseren Aufzeichnungen hervor. Damals traf er auch erstmals mit dem Araber Darhoum zusammen, wenn Sie mich fragen, eine der großen Lieben seines Lebens.«
Majors sah den Mann im Krankenbett forschend an. »Sie haben eine Menge Fakten gesammelt, Großhirn«, meinte er schließlich leise.
»Eine interessante Persönlichkeit und noch dazu ein Mitglied im Klub, wenn man so sagen kann«, antwortete Morgan entschuldigend und begann, die leeren Teller zusammenzustellen. »Denn nach den Ausgrabungen in Syrien führten ihn seine Forschungsreisen auf den Sinai, wo er Landkarten anfertigte, bevor er in Kafr Ammar in Ägypten arbeitete und die Gegenwart ihn einholte. Am 4 . August 1914 trat Großbritannien in den Ersten Weltkrieg ein, und im Dezember begann Lawrence seinen Dienst als Agent beim arabischen Büro, einer Sonderabteilung des militärischen Geheimdiensts in Kairo. Die Regierung in London versuchte damals, einen arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich anzuzetteln. Da kam ihnen der Abenteurer aus Wales sehr gelegen. Er sprach die richtigen Sprachen, kannte die arabische Mentalität, das Land, das Gelände aus eigener Anschauung. Er hatte es ja sogar kartographiert. Auf der anderen Seite konnte der unehelich geborene, kleine und schmächtige Lawrence, der unter seiner Vorliebe für Männer wohl mehr litt als alle anderen, als »El Aurens« sein Selbstbewusstsein wieder aufbügeln. Ab sofort mutierte er zum Araber – mit weißem Gewand und Krummdolch, auf dem Kopf die mit einem Ikal gehaltene Kufija, und fühlte sich dabei wie einer jener mittelalterlichen Ritter, von denen er immer gelesen und deren Spuren er stets gesucht hatte. Es war die perfekte Symbiose.«
Du weißt zwar unerhört viel, dachte Majors, als er Morgan zuhörte. Doch in Wahrheit kennst du zum Glück nur die Fassade. Gott sei Dank!
Laut sagte er: »Sein Auftrag lautete, die Araber zu beobachten und ihren Aufstand gegen die Türken voranzutreiben, damit der Bündnispartner der Deutschen in der Wüste eine neue Front eröffnen musste. Clever gedacht, und es funktionierte.«
Morgan lachte auf. »Aber auch teuer erkauft. Der Aufstand in der Wüste kostete das Empire elf Millionen Pfund, mit denen der Kampfeswille der Araber bezahlt wurde. Nicht umsonst nannten die Beduinen, seine Kampfgefährten, Lawrence ›den Goldmann‹. Er warf mit Geld nur so um sich.«
Der Regen prasselte nach wie vor mit unverminderter Kraft gegen die Scheiben. Das Gewitter war zwar in Richtung Küste weitergezogen, aber es war nur der Vorbote einer Schlechtwetterfront gewesen.
Schweigen legte sich über das Krankenzimmer. Shaws Atemzüge waren regelmäßig, und Majors wurde bewusst, dass er Morgan gegenüber noch viel vorsichtiger sein musste, als er bisher angenommen hatte. Es fehlte nicht viel, und der Streber würde eins und eins
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