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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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der Militärgerichtsbarkeit unterstanden.
    Majors hatte kein Schlupfloch offen gelassen.
    Der Colonel wagte gar nicht daran zu denken, was passiert wäre, wenn man Shaw in ein ziviles Krankenhaus gebracht und seine Kopfverletzungen genauer untersucht hätte. Nicht auszudenken. Churchill wäre vor Wut explodiert, und es hätte ein Großreinemachen in den Diensten gegeben – angesichts der Entwicklung in Deutschland zum absolut falschen Zeitpunkt.
    In diesem Moment steckte Andrew Morgan seinen Kopf durch die Tür und riss Majors aus seinen Gedanken.
    »Ah, hier sind Sie ja, Sir!«, rief er aus und schob sich samt einem vollen Tablett ins Krankenzimmer. Plötzlich roch es nach Karotten und Braten. »Zeit fürs Abendessen!« Er brachte das Tablett zu Majors und stellte es auf einem kleinen Tisch ab, vor dem zwei Sessel standen.
    »Wenn es so schmeckt, wie es aussieht, und so verkocht ist, wie es riecht, dann habe ich schon gegessen«, brummte Majors und steckte seinen ausgestreckten Zeigefinger ungeniert in die Suppenterrine. »Abgesehen davon, dass die Brühe nur als undefinierbar bezeichnet werden kann, ist sie kalt. Und ich hasse kalte Suppen. Bon appétit! Ihr Schlemmermenü.«
    »Sie haben aber schon gestern nichts gegessen«, wandte der junge Mann ein.
    »Der isst auch nichts und lebt immer noch«, gab der Colonel zurück und wies mit dem Daumen auf den bewusstlosen Shaw. »Scheint also nicht so dringend zu sein, die Sache mit der Nahrungsaufnahme. Haben Sie die erste Auswertung des Sammelsuriums aus Clouds Hill?«
    Morgan schüttelte den Kopf und begann mit der Suppe. »Das wird … noch … etwas dauern«, stieß er zwischen den Löffeln hervor und verzog dann das Gesicht. »Schmeckt wirklich etwas seltsam.«
    »Hab ich Ihnen ja vorhergesagt«, meinte der Colonel befriedigt. »Aber bei dieser Küche ist es nicht schwer, kulinarisches Orakel zu spielen. Also – warum wird die Auswertung noch etwas dauern?«
    »Weil das Ministerium nicht so schnell die nötige Anzahl an Experten und Kryptographen nach Bovington abkommandieren kann«, erklärte Morgan und wandte sich dem Braten zu. »Sie haben ja gemeint, Shaw hätte unter Umständen eine Nachricht verschlüsselt und in seinem Cottage versteckt. Oder dieses Puppenhaus in ein Rebus verwandelt.«
    »London schläft, uns läuft die Zeit davon, die Reporter stehen in den Startlöchern, und inzwischen warten wir auf Experten, die in irgendwelchen Büros in der Nase bohren, Kreuzworträtsel lösen und nicht daran denken, in die Provinz zu kommen«, ätzte Majors. »Wir sind schon mit den Folgen eines einzelnen Motorradunfalls überfordert. Gnade uns Gott, wenn sich dieser Hitler jemals westwärts auf den Weg macht. Dann werden unsere Kryptographen schnellstens Deutsch lernen müssen.«
    Morgan kaute mit vollen Backen und drückte sich so um eine Antwort.
    Majors wandte sich frustriert ab, verzog das Gesicht und nahm sich einen Stuhl, den er neben das Krankenbett stellte. Er setzte sich rittlings darauf und verschränkte die Arme auf der Lehne. Shaws Gesicht war eingefallen und blass. Es wirkte beinahe weiblich, trotz des kräftigen Kinns. War es der Schwung der Backenknochen?
    Lawrence of Arabia.
    Hätte er ihn je persönlich kennengelernt, vielleicht hätte die Chemie gestimmt und sie wären Freunde geworden, überlegte er und zündete sich doch eine Zigarette an, Ärzte hin oder her. Dann inhalierte er tief und blies den Rauch in kleinen Schwaden in die Luft.
    »Geboren in Wales, in Tremadoc, in einem schmalen grauen Steinhaus am 16 . August 1888 als zweitältester von fünf Söhnen«, hörte er Morgans Stimme von dem kleinen Esstisch her. »Uneheliches Kind, hoch begabt. Mit fünf Jahren konnte er den
Standard
verkehrt herum lesen. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in Frankreich, dann zog die Familie nach Oxford. Thomas Edward Lawrence kam in die dortige High School. Das Studieren fiel ihm leicht, er war begabt, lernte später sechs Sprachen, dazu Griechisch und Latein.«
    Und jetzt, dachte Majors, als Andrew Morgan verstummte, was hilft dir das jetzt? Er betrachtete die friedlichen Züge des Bewusstlosen und ertappte sich dabei, ihn irgendwie zu beneiden. Bald würde alles vorbei sein. Ein schmerzloser Tod.
    Der Colonel gab Großhirn ein Zeichen mit der Zigarette und bedeutete ihm weiterzureden. Es konnte nie schaden zu erfahren, was Morgan wusste.
    »Mit neunzehn ging Lawrence mit einem Stipendium an das Jesus College in Oxford, um moderne Geschichte zu

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